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Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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verweint aus, fand Moreno und unterdrückte den Impuls, ihr die Hand auf den Arm zu legen.
    Sie wusste nicht so recht, warum sie diesen Impuls unterdrückte, aber die Erklärung lag auf jeden Fall eher bei ihr als Polizistin denn bei ihr als Frau, das war klar. Es war nicht so leicht, beides in sich zu haben, beide Naturen. Sie hatte sich das schon früher überlegt. Mehrere Male.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie vorsichtig.
    Sigrid Lijphart zog ein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase.
    »Nicht gut«, sagte sie.
    »Das kann ich verstehen«, sagte Moreno.
    »Wirklich?«, fragte Sigrid Lijphart. »Haben Sie Kinder?« Moreno schüttelte den Kopf.
    »Noch nicht.«
    Noch nicht? Sie zuckte zusammen und fragte sich, warum ihr gerade diese Formulierung herausgerutscht war. Stellte fest, dass es sich immerhin um keine Polizistinnenformulierung handelte, sondern eher um eine Art Freudsche Fehlleistung, was das Gleichgewicht zwischen ihren beiden Naturen wieder herstellte.
    »Ich mache mir solche Sorgen«, sagte Sigrid Lijphart und ließ die Kaffeetasse gegen die Untertasse klirren. »So schreckliche,
schreckliche Sorgen. Es muss ... ja, es muss ihr etwas passiert sein. Mikaela würde nie ... nein, und es sind jetzt so viele Tage vergangen ...«
    Ihre Stimme brach. Sie zuckte heftig zusammen — wie nach einem Weinanfall, dachte Moreno — setzte sich dann gerade und versuchte, sich zu sammeln.
    »Verzeihen Sie. Aber das ist alles so hart.«
    »Das verstehe ich«, sagte Moreno noch einmal. »Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, dann bin ich gern dazu bereit.«
    Sigrid Lijphart schaute sie überrascht an.
    »Sind Sie ... sind Sie bei der Polizei hier in Lejnice?«
    Moreno lachte kurz.
    »Nein, in Maardam. Ich mache hier Urlaub. Hatte nur beim Polizeichef etwas zu erledigen.«
    »Aha.«
    Sie schwiegen für einen Moment, und Moreno fragte sich, was dieses Aha wohl zu bedeuten hatte. Wenn sie es richtig deutete, dann enthielt es eine gewisse Zufriedenheit angesichts der Tatsache, dass sie nicht zu Vrommels Truppe gehörte.
    Und das wäre eine durchaus verständliche Reaktion.
    »Haben Sie schon selber etwas unternommen?«
    Sigrid Lijphart schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ich bin um eins mit Vrommel und diesem Polizeianwärter Vegesack verabredet ... nein, ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier durch die Stadt gehen und mit den Leuten reden sollte. Nicht nach dem, was passiert ist, ich habe sozusagen allem den Rücken gekehrt ... habe es hinter mich gebracht. Ich könnte ihnen einfach nicht noch einmal ins Gesicht blicken.«
    »Sie wissen zum Beispiel nicht, wo Mikaela übernachten wollte?«
    Sigrid Lijphart machte ein unsicheres Gesicht. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Sie ist doch ganz spontan aufgebrochen. Natürlich ... natürlich sollte das von ihrer Seite auch eine Strafe sein, so sehe ich das jedenfalls. Weil ich ihr nicht schon früher alles erzählt hatte ... und vielleicht wollte sie auch Helmut
treffen. Das ist mein Mann, Mikaelas Stiefvater ... Sie hat nur gesagt, dass sie zu ihrem Vater will, und dann war sie auch schon weg. Aber ich weiß, dass sie niemals aus freien Stücken so lange fortbleiben würde. Nicht alle kennen ihre Kinder so gut, aber bei mir ist das der Fall.«
    »Und das hier kann nicht auch eine Art Denkzettel sein? Dass sie Ihnen ein bisschen Angst einjagen will?«
    »Nein.« Sigrid Lijphart schüttelte energisch den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich hatte natürlich damit gerechnet, dass sie einen Tag und vielleicht auch noch eine Nacht ausbleiben würde, aber nicht mit dem hier. Es ist ... ja, es ist doch jetzt fast eine Woche. Herrgott, warum unternimmt er denn nichts, dieser verdammte Polizeichef?«
    Moreno konnte diese Frage nicht beantworten, deshalb schwieg sie eine Weile und versuchte, freundlich und neutral auszusehen.
    »Und Sie wollen nicht zu Ihrem früheren Mann fahren und mit ihm sprechen?«, fragte sie dann.
    Sigrid Lijphart fuhr zurück, als habe sie sich verbrannt.
    »Zu Arnold fahren? Und mit Arnold sprechen? Nein, ich weiß wirklich nicht, wozu das gut sein sollte.«
    »Sie könnten zum Beispiel in Erfahrung bringen, worüber die beiden gesprochen haben«, sagte Moreno. »Mikaela und er.«
    Sigrid Lijphart schwieg zunächst. Zog dann die Mundwinkel nach unten und sah aus wie eine, die sich zwischen Pest und Cholera entscheiden muss.
    »Nein«, sagte sie dann. »Was immer passiert sein mag, ich glaube nicht, dass es etwas mit diesem Besuch zu tun hat.

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