Der Tote vom Strand - Roman
zwischen Mikaela und deren Vater. Und vielleicht ihr selbst.
Abrechnung?, dachte sie. Was sage ich denn da bloß? Was meine ich?
Und was ist passiert?
Erst, als sie ihre zweite Zigarette zur Hälfte geraucht hatte und merkte, dass diese von Tränen aufgeweicht war, ging sie zum Anrufen ins Zimmer.
Er war nicht zu Hause, aber am Ende fiel ihr seine Handynummer ein, und dann erreichte sie ihn.
Sie erklärte, sie habe mit der Polizei gesprochen, und bis zum Abend werde sicher alles geklärt sein.
Und sie habe sicherheitshalber für die Nacht ein Zimmer genommen. Weil es doch zu anstrengend gewesen wäre, am selben Tag noch zurückfahren zu müssen.
Helmut hatte nicht viel dazu gesagt. Sie beendeten ihr Gespräch. Sie ging wieder auf den Balkon. Setzte sich und betete zum ersten Mal seit sechzehn Jahren.
Auch wenn sie nicht glaubte, dass Gott sie hörte.
15
14. Juli 1999
Am Ende entschied sie sich für Münster.
Der Grund war einfach, und sie war froh, ihn nicht nennen zu müssen. Nicht Mikael Bau und auch keinem anderen Menschen. Denn so war die Lage: Kriminalinspektorin Moreno war einmal in Hauptkommissar Münster verliebt gewesen, und fast wäre es zu einer Affaire gekommen.
Nein, nicht verliebt, korrigierte sie sich. Das war ein zu starkes Wort. Es war etwas in derselben Richtung, wenn auch ... wenn auch von geringerem Wert, beschloss sie. Von sehr viel geringerem. Auf jeden Fall war der Gedanke, sie hätte vielleicht... unter anderen Umständen, wohl gemerkt ... eine Beziehung zu einem Mann mit pädophilen Neigungen einleiten können, so absolut unvorstellbar, dass das schon allein der Gegenbeweis war. Der bloße Gedanke war absurd. Münster war in dieser Rolle unvorstellbar. Ganz einfach unvorstellbar.
Es war natürlich schwer, sich einen ihrer anderen Kollegen als Kinderficker vorzustellen, aber in die war sie nicht verliebt gewesen (nicht einmal auf dem allerniedrigsten Niveau). Und deshalb wäre das immerhin kein Widerspruch an sich.
Wie das, wenn sie sich richtig erinnerte, zu ihrer Gymnasialzeit im Philosophiebuch gestanden hatte.
Münster also. Eine absolut sichere Karte.
Zum Glück fragte er nicht, warum sie sich gerade für ihn entschieden hatte.
Er stellte jedoch sehr viele andere Fragen.
Ob sie den Verstand verloren habe, zum Beispiel.
Was, zum Henker, das denn heißen solle?
Wie sie einem Scheißkerl wie Franz Lampe-Leermann auch nur ein Wort glauben könne?
Moreno erklärte kurz, dass sie Lampe-Leermann nicht mehr Glauben schenke als einem Horoskop in einer Teeniezeitschrift, aber dass sie die Sache anstandshalber doch weitergeben wolle, da sie schließlich Urlaub hatte.
Das konnte Münster akzeptieren, aber er trug noch eine ganze Weile seine Ansichten vor, bis sie hörte, dass seine ursprüngliche, im Schockzustand getroffene Entscheidung immer mehr ins Wanken geriet.
Genau wie das bei ihr der Fall gewesen war. Genau wie Lampe-Leermann, dieser Drecksack, vermutlich auch erwartet hatte.
»Er hat einen Trumpf im Ärmel, oder was?«
»Ich weiß nicht«, sagte Moreno.
»Er muss doch einen Grund haben, wenn er so etwas behauptet?«
»Sollte man annehmen.«
»Was glaubst du denn?«
»Gar nichts«, antwortete Moreno. »Aber ich habe nicht sehr gut geschlafen.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Münster. »Was, zum Teufel, machen wir jetzt?«
»Man geht jedenfalls nicht zu Hiller.«
»Vielen Dank für den guten Rat«, sagte Münster. »Hast du noch andere?«
»Es gibt wohl nur einen.«
»Und der wäre?«
»Du musst mit dem Schleimscheißer reden.«
»Was?«
»Verzeihung. Mit Franz Lampe-Leermann.«
»Hm«, sagte Münster. »Und wo hält der sich gerade auf?«
»In Emsbaden«, erklärte Moreno. »Da sitzt er und wartet auf dich. Ich schlage vor, du kümmerst dich selber darum und bewahrst Diskretion.«
Münster schwieg einige Sekunden.
»Ich lasse von mir hören«, versprach er dann. »Danke für deinen Anruf. Mach dir ein paar schöne, faule Tage, damit du im August dann wieder ein tüchtiger Bulle bist.«
»Ich werde mein Bestes tun«, sagte Inspektorin Moreno.
Nachmittags fuhren sie mit der Fähre zu den Inseln. Wanderten eine Stunde bei Ebbe über die Strände von Werkeney und fuhren dann mit einem kleineren Boot nach Doczum weiter, der Vogelinsel, die unter Naturschutz stand. Dort aßen sie zwischen dickbäuchigen Touristen und sorgfältig ondulierten Touristinnen mit hohem Durchschnittsalter und kräftiger Gesichtsfarbe in einem Wirtshaus
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