Der Tote vom Strand - Roman
Fliege, die eine unbegreifliche (fand Vegesack) Vorliebe für seinen schweißglänzenden Schädel gefasst hatte (falls sie den nicht mit einem anderen Misthaufen verwechselt, dachte Vegesack und beschloss, sich zu merken, dass er diese Überlegung in sein schwarzes Buch eintragen musste).
»Wir wissen, was wir wissen«, erklärte der Polizeichef und las von dem Zettel ab, den er in der Hand hielt. »Vierunddreißig Jahre alt. Hat draußen in Klimmerstoft gewohnt. War dort geboren und aufgewachsen. Junggeselle. Hat bei Klingmann gearbeitet, in der Möbelfabrik, und das seit vier Jahren. Viel gibt es nicht über ihn zu berichten. Keine festen Beziehungen. Hat einige Jahre mit einer Frau zusammengelebt, aber das war nicht von Dauer. Keine Kinder. Hat früher Fußball gespielt, musste nach einer Knieverletzung aber aufhören. Keine Vorstrafen, war nie in irgendwelche Verbrechen verwickelt ... keine Feinde, soweit wir wissen.«
»Kirchgänger und Mitglied von Amnesty und Greenpeace?«, fragte der andere Kriminalbeamte aus Wallburg. Er hieß Baasteuwel und war ein kleiner, ungepflegter Mann von Mitte Vierzig. Er galt als scharfsinnig, wenn Vegesack das richtig verstanden hatte. Auf jeden Fall war er Vrommels genauer Gegensatz, und die beiderseitige Antipathie war ein wahrer Augenschmaus.
Zur Krönung dieses Genusses rauchte Baasteuwel so ungefähr eine stinkende Zigarette nach der anderen und achtete nicht auf die verbalen und nonverbalen Einsprüche des Polizeichefs. Das hier war ja wohl verdammt noch mal kein Kindergarten!
»Das wissen wir nicht«, knurrte Vrommel. »Noch nicht. Wir konnten ihn erst heute früh identifizieren und haben bisher nur mit zwei seiner Bekannten sprechen können. Er hat einen Bruder und eine Mutter, den Bruder haben wir erreicht, er ist auf dem Weg zu uns. Die Mutter macht Urlaub in Frankreich, kommt morgen oder spätestens übermorgen wieder nach Hause.«
»Handy?«, fragte Kohler.
»Negativ«, sagte Vrommel. »Wenn wir mit weiteren Bekannten gesprochen haben, werden wir mehr über Van Rippe wissen. Er ist offenbar seit dem vorigen Sonntag verschwunden. Können wir jetzt zum Technischen übergehen?«
»Warum nicht?«, fragte Baasteuwel, drückte seine Zigarette aus und steckte sich eine neue an.
Vrommel scharrte seine Papiere zusammen und nickte Polizeianwärter Vegesack zu. Der trank einen Schluck Mineralwasser und legte los.
Er brauchte knapp zehn Minuten. Tim Van Rippe war irgendwann am Sonntag oder Montag der vergangenen Woche ums Leben gekommen. Die Todesursache war ein spitzer, aber nicht notwendigerweise scharf geschliffener, bislang nicht identifizierter und unspezifischer Gegenstand, vermutlich aus Metall, der durch sein linkes Auge ins Großhirn gedrungen war und dort so viele vitale Funktionen ausgeschaltet hatte, dass Van Rippe aller Wahrscheinlichkeit nach schon drei bis sechs Sekunden nach dieser Penetration tot gewesen war. Es war an und für sich nicht undenkbar, dass er diese letale Handlung selber durchgeführt hatte, aber dann musste eine andere — bislang nicht identifizierte und unspezifizierte Person die Waffe entfernt und Van Rippe dort am Strand vergraben haben.
Er hatte ungefähr eine Woche an der Stelle gelegen, wo er von Henning Keeswarden und Fingal Wielki, sechs beziehungsweise vier Jahre alt, gefunden worden war. Bisher hatte man nicht feststellen können, wie viel Zeit zwischen dem Eintreten des Todes und dem Begraben verstrichen war, erklärte der Obduzent, Dr. Goormann, aber es bestehe doch Grund zu der Annahme, dass es sich um keinen großen Zeitraum handele.
So weit die medizinische Wissenschaft. Was die Ergebnisse der Spurensicherung anging, so ließen die noch weitgehend auf sich warten. An die sechzig oder weniger sandige Gegenstände waren zur Analyse ans Gerichtsmedizinische Labor in Maardam geschickt worden. Bisher konnte man mit Sicherheit nur sagen, dass man nichts gefunden hatte, das mit der Mordwaffe identisch sein könnte — und auch nichts, das genauer erklären könnte, wie diese Mordwaffe eigentlich ausgesehen haben mochte.
Oder wer sie benutzt hatte.
Dass das Opfer ein blaues Baumwollhemd, Jeans und Unterhosen getragen hatte, dass jedoch sowohl Schuhe als auch Socken fehlten, war nichts, worüber die Techniker sich zu verbreiten brauchten, es war für alle und jeden klar, die den Tatort aufgesucht hatten.
Damit endete Vegesack, der schließlich dort gewesen war, und schaute sich am Tisch um.
»Betrunken?«, fragte
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