Der Tote vom Strand - Roman
und dachte eine Weile nach. Dann suchte sie Shorts, ein ärmelloses Hemd und ihre Turnschuhe aus dem Rucksack und machte sich auf den Weg.
Zum Strand natürlich. Diesmal in Richtung Süden, um nicht an Leichen im Sand und verlassene Liebhaber (Typen? Freunde? Verlobte?) erinnert zu werden.
Es war der Morgen aller Morgen, das erkannte sie sofort. Der Strand lag einsam vor ihr, das Meer war spiegelglatt, und nach nur wenigen hundert Metern fragte sie sich ernsthaft, warum sie nicht jeden Tag ihres Lebens so begann. Gab es überhaupt auch nur den Schatten eines Gegenargumentes?
Na ja, möglicherweise die Tatsache, dass ein windiger Januarmorgen einen ganz anderen Charme hatte. Und dass es mitten in Maardam an Meer gewissermaßen mangelte.
Nach zwanzig Minuten machte sie kehrt. War um Viertel vor acht wieder in der Pension. Duschte, setzte sich dann zum Frühstück in den schattigen Garten und las dabei zwei Morgenzeitungen. Beide berichteten von dem Leichenfund — vor allem natürlich das Westerblatt, die Lokalzeitung — und beim Lesen trank sie Kaffee und kaute selbst gebackenes Graubrot mit Käse und Paprika. Dabei versuchte sie, sich ihre Strategie für diesen Tag zurechtzulegen.
Ganz unproblematisch war das alles nicht. Vor allem würde sie ihre Kontakte zur Polizei von Lejnice wohl mit einer gewissen Diskretion pflegen müssen. Was natürlich ungewöhnlich war, aber dass Vrommel kein sonderliches Interesse an Einmischung von außen hatte, lag doch gelinde gesagt auf der Hand. Er lehnte jede Art von Einmischung ab. Woran das lag, ließ sich sicherlich diskutieren, aber dieser Frage wollte sie sich an einem anderen Tag widmen. Besser, sie hielte sich erst einmal an Vegesack — und noch besser, sie wartete bis zum Nachmittag.
Und sei es nur, um sich selber eine Möglichkeit zu geben, etwas auszurichten. Ehrlich gesagt könnte sicher auch Vegesack etwas Ruhe brauchen, obwohl er bisher noch nicht die ganz großen Ambitionen als Ermittler unter Beweis gestellt hatte.
Aber das wäre vielleicht auch zu viel verlangt, dachte Moreno. Wo seine Freundin doch gerade erst nach Hause gekommen ist und überhaupt. Aber er hatte auf jeden Fall versprochen, festzustellen, ob irgendwer Maager oben im Sidonis besucht hatte. Oder ihn angerufen. Es musste doch ungeheuer wichtig sein, sich in dieser Frage so schnell wie möglich Klarheit zu verschaffen.
Kaum hatte sie das gedacht, als ihr Handy losfiepte.
Es war Mikael Bau. Sie hatten auch am Vorabend eine Viertelstunde miteinander telefoniert. Es war kein sonderlich tiefschürfendes Gespräch gewesen, aber sie hatten doch immerhin eine angenehme Distanz zueinander gefunden, was sicher nicht das schlechteste war.
Und er hatte mit keinem Wort behauptet, sie zu lieben.
Jetzt rief er nur an, um ihr mitzuteilen, dass er die Rechnung von Kluivert, Kluivert & Söhne selber bezahlen wollte. Er hatte sich die Sache überlegt und war zu dem Schluss gekommen, dass er ungerecht gewesen sei. Nach kurzer Diskussion ließ sie ihm seinen Willen.
Als sie ihr Gespräch beendet hatten, dachte sie eine Weile nach. Merkte, dass es ihr schwer fiel, ein bitteres Lachen zu unterdrücken, dann zog sie ihren Notizblock hervor und schrieb drei Fragen auf:
Was zum Henker ist mit Mikaela Lijphart passiert?
Was zum Henker ist mit Arnold Maager passiert?
Was zum Henker mache ich hier eigentlich, statt wie jeder
normale Mensch meinen Sommerurlaub zu genießen?
Sie starrte die Fragen an und leerte ihren Kaffee. Danach notierte sie eine vierte Frage:
Wie zum Henker kann ich sicherstellen, dass ich noch heute die Antwort auf eine dieser Fragen finde?
Sie überlegte noch eine Weile, dann war Plan A bereit. Es war fünf Minuten vor neun. Und es war durchaus kein schlechter Start in einen Tag.
Die Frau, die die Tür öffnete, erinnerte sie an einen Fisch.
Vielleicht lag es an ihrem Aussehen, vielleicht am Geruch. Vermutlich an einer unheiligen Allianz von beidem.
»Frau Maas?«
»Ja.«
Ewa Moreno nannte ihren Namen und bat um ein kurzes Gespräch.
Das wurde ihr verwehrt.
Sie fragte, ob sie Frau Maas irgendwo zu einem Kaffee oder einem Drink einladen dürfe. Unten auf der Strandterrasse vielleicht?
Das wurde ihr gestattet.
Allerdings nicht auf der Strandterrasse. Dort säßen nur fette Kapitalisten und Schmocks, erklärte Frau Maas und lenkte deshalb ihre Schritte zum Café Tarms am Busbahnhof. Hier könnten anständige Menschen draußen sitzen und das Gewimmel auf dem Marktplatz betrachten.
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