Der Tote vom Strand - Roman
Sidonis befasst. Die Frage ist, ob dabei etwas rausgekommen ist, aber ich habe doch immerhin einen Versuch unternommen.«
Er legte eine Pause ein und rieb sich erst einmal die Schläfen, ehe er weiterredete. Moreno wartete.
»Hab mit zwei Leuten von da oben geredet. Niemand wusste, ob Maager vor seinem Verschwinden telefoniert hat. Dass er Besuch gehabt haben könnte, ohne dass jemand das bemerkt hätte, können sie sich nicht vorstellen. Aber wenn jemand das Heim verlassen will ... aus irgendeinem Grund ... dann gibt es eine ziemlich einfache Variante.«
»Welche denn?«, fragte Moreno.
»Den Park. Der das Heim umgibt, ja, du warst doch mal da. Maager ist da jeden Tag zwei Stunden spazieren gegangen. Wäre keine große Kunst, im Wald auf der Lauer zu liegen und sich über ihn herzumachen, sowie er vom Haus aus nicht mehr zu sehen ist. Es gibt doch keine Mauer oder so, jedenfalls nicht um das ganze Gelände. Wir werden die nächste Umgebung durchkämmen lassen, es kann ja sein, dass er da draußen irgendwo im Wald liegt.«
Moreno schwieg. Sie schwieg eine halbe Minute lang und
starrte denselben Strand und dasselbe Meer an wie Polizeianwärter Vegesack.
Dieselben Menschen, dieselben apportierenden Hunde, dasselbe Feriengewimmel. Und doch kam es ihr so vor, als habe die Zeit — zumindest die letzten Tage — alles mit einem dünnen Film überzogen. Als gehe dieses Leben sie nichts mehr an.
»Und warum sollte jemand es auf Arnold Maager abgesehen haben?«, fragte sie.
Vegesack zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Er ist doch verschwunden, und das muss einen Grund haben.«
»Seine Frau?«, fragte Moreno. »Sigrid Lijphart. Was ist mit ihr?«
»Sie ruft jeden Tag an und will wissen, warum wir nichts unternehmen.«
»Wie hat sie auf die Nachricht von Maagers Verschwinden reagiert?«
»Schwer zu sagen«, sagte Vegesack und runzelte die Stirn.
»Ihr geht es doch um die Tochter. Ich glaube, es ist ihr ziemlich schnuppe, ob ihr Exgatte lebt oder nicht. Morgen geht die Vermisstenmeldung raus. An die Zeitungen und so.«
Moreno dachte noch eine Weile nach. Versuchte sich den Menschen Arnold Maager vorzustellen, aber der einzige visuelle Eindruck, den sie von ihm hatte, stammte von alten Fotos, und deshalb konnte sie sich kein deutliches Bild machen. Umso stärker sah sie diese Geschichte vor sich, das, was er vor sechzehn Jahren angerichtet hatte ... so als könnten Taten den Täter in den Hintergrund rücken, ihn unfassbar machen, von der Verantwortlichkeit befreien. Es war keine ganz unbillige Überlegung, und es gab vielleicht Berührungspunkte mit den Gedanken, die ihr bei ihrem Strandspaziergang gekommen waren. Er muss ein total kaputter Mensch sein, dachte sie. War es sicher schon damals.
»Hübsche Geschichte«, sagte sie endlich. »Mädel verschwunden, Papa verschwunden. Kannst du mir erzählen, was zum Teufel hier eigentlich läuft?«
»Na ja«, sagte Vegesack. »Hatte noch keine Zeit. War vor allem mit diesem Typen am Strand beschäftigt. Mit Tim Van Rippe.«
»Ja, sicher«, sagte Ewa Moreno. »Und wie schaut’s da aus?«
»Bisher wissen wir nur sicher, dass wir nichts sicher wissen«, sagte Vegesack und leerte sein Bierglas in einem Zug.
»Hm«, murmelte Moreno. »Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann ist das doch das Fundament allen Wissens.«
29
Aaron Wicker von der Lejnicer Lokalredaktion des Westerblatts brachte dem Polizeichef der Stadt keinerlei wärmere Gefühle entgegen.
Das wäre sicher auch unter anderen Umständen nicht der Fall gewesen, aber so, wie die Dinge standen, glaubte er, ungewöhnlich gute Gründe dafür zu haben. Seit Vrommel Anfang der neunziger Jahre die Zeitungsredaktion hatte durchsuchen lassen, hegte Wicker für den ersten Vertreter von Gesetz und Ordnung am Ort einen solchen Abscheu, dass er nie auch nur den Versuch machte, diesen zu verhehlen. Oder zu analysieren.
Dreck ist Dreck, dachte er dann immer. Und Drohungen kommen immer an.
Die Durchsuchung war mit einer angeblichen Bombendrohung begründet worden, die bei der Polizei eingegangen war und sich gegen die Zeitung richtete, was diese Aktion nötig machte. Eine Bombe wurde nie gefunden, und Wicker hatte die ganze Zeit gewusst, dass es auch keine Drohung gegeben hatte. Der Polizei war es darum gegangen, die Namen von Gewährsleuten für eine Artikelserie über finanzielle Unregelmäßigkeiten im Stadtrat sicherzustellen. So sah die Sache aus, und seither war das Verhältnis der zwei
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