Der Tote vom Strand - Roman
Und wenn man die Menschen satt hatte, konnte man sich in den Anblick der Tauben vertiefen.
Kongenial mit anderen Worten. Worum es eigentlich gehe?
Moreno wartete, bis Kaffee und Cognac serviert worden waren. Danach erzählte sie, sie sei Privatdetektivin und suche nach einer Achtzehnjährigen. Und alles hänge in gewisser Hinsicht mit den tragischen Ereignissen zusammen, in die sechzehn Jahre zuvor Frau Maas’ Tochter Winnie verwickelt gewesen sei.
»Privatschnüfflerin?«, fragte Sigrid Maas und leerte ihren Cognac auf einen Zug. »Scher dich zum Teufel!«
Miststück, dachte Ewa Moreno. Ich muss noch allerlei lernen.
»Ich werde es ganz einfach machen«, erklärte sie und legte eine beschützende Hand um ihr eigenes Cognacglas. »Wenn Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantworten und mir nicht allerlei blödes Gerede und Unverschämtheiten auftischen, dann bekommen Sie fünfzig Gulden.«
Sigrid Maas glotzte sie an und kniff den Mund zu einem dünnen Strich zusammen. Gab keine Antwort, aber es war offensichtlich, dass sie sich dieses Angebot überlegte.
»Sie können auch meinen Cognac haben«, sagte Moreno nun noch und nahm ihre Hand weg.
»Wenn du mich verpfeifst, bringe ich dich um«, sagte Sigrid Maas.
»Hier wird niemand verpfiffen«, sagte Moreno und schaute in ihrem Portemonnaie nach, ob sie wirklich fünfzig Gulden in bar bei sich hatte. »Wieso sollte ich Sie verpfeifen können?«
Sigrid Maas gab keine Antwort. Sie steckte sich eine Zigarette an und zog das Cognacglas in etwas bequemere Reichweite.
»Na los.«
»Mikaela Lijphart«, sagte Moreno. »Sie ist die Tochter von Arnold Maager, der deine Tochter umgebracht hat. Ein Mädchen von achtzehn Jahren, wie gesagt, sie war zwei, als es passiert ist. Meine erste Frage ist, ob sie dich während der vergangenen Wochen jemals besucht hat.«
Sigrid Maas zog an ihrer Zigarette und schnupperte am Cognac.
»Sie war bei mir«, sagte sie dann. »Am vorigen Sonntag, glaube ich. Weiß der Teufel, warum, weiß der Teufel, warum ich sie reingelassen habe ...«
Einen Moment lang verdächtigte Moreno ihr Gegenüber der Lüge. Wollte vielleicht die versprochene Belohnung nicht aufs Spiel setzen. Aber sie konnte ja leicht die Probe aufs Exempel machen.
»Wie sah sie aus?«
Sigrid Maas starrte sie ganz kurz an. Dann ließ sie sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und machte sich an eine ziemlich plastische Beschreibung von Mikaela Lijphart, aus der hervorging, dass sie das Mädchen wirklich gesehen hatte. Für Moreno war da kein Zweifel möglich. Mikaela Lijphart hatte Sigrid Maas besucht, als sie am Sonntagvormittag mit dem Bus aus der Jugendherberge gekommen war. Was für ein unerwarteter Volltreffer!
Und plötzlich spürte sie dieses leise Zittern — dieses rasche Schaudern, das fast berauschend war und vielleicht der wichtigste Grund überhaupt, warum sie sich für die Kriminalpolizei entschieden hatte. Wenn sie ganz ehrlich sein sollte.
Oder was sie zumindest in diesem Beruf ausharren ließ. Etwas fügte sich zusammen. Eine Ahnung bestätigte sich, und vage Vermutungen wurden plötzlich zur Tatsache. Ihr Lebensgefühl steigerte sich, das Ganze hatte fast etwas Sinnliches.
Sie hatte bisher mit keinem Menschen darüber gesprochen, nicht einmal mit Münster. Vielleicht, weil sie Angst gehabt hatte, er könnte sie nicht ernst nehmen — oder sie auslachen —, aber auch, weil sie kein besonderes Bedürfnis danach hatte. Sie brauchte dieses Lustgefühl mit niemandem zu diskutieren — oder auch nur den Versuch zu machen, es in Worte zu kleiden. Es genügte, dass es vorhanden war. Sich selbst genug, hatte sie früher einige Male gedacht.
Und jetzt saß sie mit dieser verhärmten alkoholisierten Frau an diesem Cafétisch und war abermals von dieser vibrierenden Spannung erfüllt. Diese Frau hatte Mikaela Lijphart gesehen. Am fraglichen Sonntag. Genau, wie sie erwartet hatte.
Genau, wie sie selber sich an Mikaela Lijpharts Stelle verhalten hätte — sie hätte die Mutter des armen Mädchens aufgesucht, das ihr Vater ermordet hatte. Sie aufgesucht, um ... ja wozu eigentlich?
Schwer zu sagen. Manche Schachzüge waren so selbstverständlich, dass man sie im Grunde nicht beherrschen musste, um sie ausführen zu können; sie geschahen gewissermaßen reflexmäßig,
aber fast immer folgerichtig. Ebenso instinktiv und überzeugend wie dieses Zittern.
»Wieso zum Teufel suchst du überhaupt nach der Kleinen?« Mit dieser Frage riss Sigrid Maas sie aus ihren
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