Der Tote vom Strand - Roman
entsetzlichen Wochen, in denen sie nach Erich Van Veeterens Mörder gesucht hatten —, aber sie hatte sich erst einen Monat darauf für die Einladung revanchiert. Und dann hatte es noch einmal anderthalb Monate gedauert, bis sie den entscheidenden Schritt getan hatte und mit ihm ins Bett gegangen war. Oder bis sie beide den entscheidenden Schritt getan hatten. Anfang März war das gewesen, um genau zu sein. Am vierten, wie ihr nun einfiel, denn es war am Geburtstag ihrer Schwester gewesen.
Und seither war es so weitergegangen. Obwohl sie Kriminalinspektorin war und er Sozialarbeiter, waren sie doch nur Menschen.
Genauso drückte er sich immer aus. Scheiß doch drauf, Ewa! Egal wie, wir sind auch nur Menschen!
Ihr gefiel das. Es war schlicht und gesund. Erinnerte kein bisschen an Claus Badher, und je weniger Mikael Bau an Claus erinnerte, umso besser. Das war ein schlichter, aber zuverlässiger Maßstab. Ab und zu musste man zu einfachen Größen greifen, wenn es um das vermeintliche Seelenleben ging, sie war alt genug, um das zu wissen. Vielleicht sollte man das immer tun, überlegte sie bisweilen. Die Psychologie auf Distanz halten und nach dem Instinkt leben. Und es tat gut, begehrt zu werden, das konnte sie nicht leugnen. Carpe diem, war es das vielleicht?
Leichter gesagt als getan, dachte sie und stieg aus der Dusche. Das ist, wie von einem zum anderen Moment mit dem Denken aufzuhören. Auf jeden Fall hatte Mikael Bau also dieses alte Haus in Port Hagen. Er teilte es mit seinen vier Geschwistern, wenn sie das richtig verstanden hatte. Es galt als eine Art Familienerbe, und in diesem Jahr war er im Juli an der Reihe.
Groß und verfallen, hatte er versprochen. Aber bezaubernd und vor fremden Blicken geschützt. Fließend Wasser, ab und zu zumindest. Hundert Meter zum Strand.
Das klang fast zu schön, um wahr zu sein für eine schlecht bezahlte Inspektorin wie sie, und sie hatte ohne langes Zögern sein Angebot angenommen, dort zwei Wochen zu verbringen. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie überhaupt nicht gezögert. Es war an einem Sonntagmorgen im Mai gewesen, sie hatten sich geliebt und im Bett gefrühstückt. Eines nach dem anderen. Manche Tage haben wir besser im Griff als andere, das ist kaum eine Überraschung.
Zwei Wochen Mitte Juli also. Mit ihrem Typen am Meer.
Und dann Franz Lampe-Leermann!
Ein selten blödes Omen und ein ungeheuer schlechtes Timing. Sie fragte sich, was das bedeuten mochte. Oder musste man sich erst auf die Suche nach dem größeren Zusammenhang begeben?
Wie der Kommissar ab und zu zu sagen pflegte?
Nach dem Duschen packte sie, und nach dem Packen rief sie Mikael Bau an. Ohne sich mit Details aufzuhalten, erklärte sie ihm, dass sie nicht schon mittags, wie geplant, sondern erst am späteren Nachmittag eintreffen würde, da etwas dazwischengekommen sei.
»Arbeit?«, fragte er.
»Arbeit«, gab sie zu.
Er lachte und sagte: »Ich liebe dich.« Das sagte er seit neuestem, und es war seltsam, wie gespalten ihre Reaktion darauf ausfiel.
Ich liebe dich.
Sie selber hatte diese Worte noch nicht in den Mund genommen. Und sie würde das auch erst tun, wenn sie sich ganz sicher wäre. Sie hatten darüber gesprochen. Er hatte ihr natürlich Recht gegeben, aber was hätte er denn sonst tun sollen? Hatte gesagt, ihm gehe es genauso. Der Unterschied war nur, dass er sicher war. Jetzt schon.
Aber wie konnte er das sein?, hatte sie wissen wollen.
»Bin wohl weniger gebranntes Kind als du«, hatte er geantwortet. »Traue mich etwas früher, den Schritt ins Unbekannte zu machen.«
Weiß der Teufel, dachte Ewa Moreno. Wir haben alle unsere private Beziehung zu Sprache und Worten, vor allem zur Sprache der Liebe. Mit schlechten Erfahrungen braucht das nichts zu tun zu haben.
Aber sie fragte sich — hatte sich schon oft gefragt —, was eigentlich mit Leila passiert war, seiner früheren Freundin. Sie waren über drei Jahre zusammen gewesen, das hatte er ihr erzählt, und noch an dem Abend, an dem sie ihn verlassen hatte, war er eine Treppe hochgerannt und hatte an Ewas Tür geklingelt. Um sie zum Essen einzuladen, dem Essen, das er für Leila gekocht hatte. Einfach so, war das nicht doch ein wenig seltsam?
Als sie ihn danach gefragt hatte, hatte er das Essen angeführt. Er hatte doch für zwei gekocht. Man stand nicht zweieinhalb
Stunden in der Küche, um dann die ganze Pracht innerhalb von zehn Minuten ganz allein hinunterzuwürgen. Wirklich nicht.
Auch jetzt wurde das Thema
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