Der Tote vom Strand - Roman
Klugerweise hatte sie dabei ihr Handy in Reichweite liegen, denn während sie sich im Lindenblütenschaum suhlte, liefen nicht weniger als drei Anrufe ein.
Der erste stammte von ihrem Lebensanker, der endlich zu seinem Anrufbeantworter heimgekehrt war. Clara Mietens war auf Einkaufsreise in Italien gewesen (sie besaß eine Boutique in der mitten in Maardam gelegenen Kellnerstraat, wo Kleider verkauft wurden, die weder in Fabriken noch durch Kinderarbeit hergestellt worden waren), hatte dort einen Kerl getroffen, der sich durchaus nicht als Hauptgewinn erwiesen hatte, und hatte durchaus nichts gegen eine mehrtägige Fahrradtour durch die Gegend von Sorbinowo einzuwenden. Nächste Woche, Montag oder Dienstag vielleicht, sie musste zuerst noch ihre Vertreterin im Laden instruieren. Und sich davon überzeugen, dass sie wirklich ein Fahrrad besaß.
Moreno erklärte — ohne dabei ins Detail zu gehen —, dass auch sie in den nächsten Tagen besetzt war, und sie beschlossen, sich am Sonntag genauer zu verabreden.
»Ist das faule Leben an der Küste erquickend und labend?«, wollte Clara Mietens wissen.
Moreno antwortete mit Ja und legte auf.
Als Nächster rief Inspektor Baasteuwel an. Sie müssten sich unter vier Augen unterhalten. Er und Kohler hatten sich in Anbetracht der Entwicklung des Falls im Kongershuus einquartiert, und er hatte den Abend frei.
Einen Happen zu essen und ein Glas Wein vielleicht? Und eine etwas tiefergehende Unterhaltung über die Frage, was zum Teufel sich in diesem gottverlassenen Kaff mit seinem gottverdammten Polizeichef wohl abspielte.
Moreno nahm an, ohne auch nur nachzudenken. Restaurant Werder, acht Uhr.
Zwei Minuten darauf hatte sie Mikael Bau an der Strippe. Auch er hatte einen freien Abend und das Bedürfnis nach einem Gespräch mit ihr, behauptete er. Um dieses und jenes zu klären, no hard feelings, aber sie müssten doch wie zivilisierte Menschen einen Happen essen und ein Glas Wein trinken können?
Sie sagte, sie sei leider gerade an diesem Abend schon verabredet, sie könnten sich jedoch am folgenden Tag treffen, unter der Voraussetzung, dass sie dann noch nicht nach Hause gefahren war. Diesen Vorschlag nahm er nach kurzem unwilligen Schweigen an. Fragte dann, ob sie sich immer so aufführte, wenn sie ihre Tage hatte. Sich wie ein blutendes Huhn verkroch und alle Typen zum Teufel schickte?
Sie lachte und sagte, darüber brauche er sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Ihre Tage waren längst vorbei, sie lag in einer löwenfüßigen Badewanne in einem Lindenblütenbad und freute sich auf neue Abenteuer.
Er fragte, was zum Teufel denn das nun wieder heißen solle, aber das wusste sie selber nicht, und deshalb beendeten sie ihr
Gespräch mit einer vagen Verabredung für den nächsten Abend.
Inspektor Baasteuwel hatte einen Tisch hinter zwei eng stehenden Plastikfikussen belegt und wartete bei einem großen Dunkelbier.
»Warum bist du zur Bullerei gegangen?«, fragte er, als sie bestellt hatten. »Ich bin kein Idiot, aber ich muss diese Frage einfach stellen, wenn mir ein Schicksalsgenosse begegnet. Oder eine Schicksalsgenossin.«
Moreno hatte sieben verschiedene Antworten parat und nahm eine davon.
»Weil ich geglaubt habe, ich könnte meine Arbeit gut machen«, sagte sie.
»Gut gesprochen«, erwiderte Baasteuwel. »Du bist offenbar auch keine Idiotin.«
Sie merkte, dass sie ihn leiden mochte. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich über das improvisierte Treffen bei Vegesack Gedanken zu machen, aber jetzt spürte sie deutlich, dass Baasteuwel ein Kollege von der Sorte war, auf die sie sich verlassen konnte. Einer, der für sich selber einstand.
Ungepflegt und zerzaust, das schon, na ja, vielleicht nicht richtig ungepflegt, aber dass er auf alle Konventionen pfiff, war doch leicht zu sehen. Die Bartstoppeln waren sicher drei oder vier Tage alt, und seine grauschwarzen Haare mit den Geheimratsecken hatten seit einem halben Jahr keine Schere mehr gesehen. Seine tief liegenden Augen waren dunkel und seine schiefe Nase mindestens zwei Nummern zu groß. Der Mund breit, die Zähne unregelmäßig. Er ist hässlich wie die Sünde, dachte Moreno. Er gefällt mir.
Aber sie saßen ja wohl kaum hier, um sich gegenseitig mit Sympathiebekundungen zu überhäufen.
»Ist noch mehr passiert?«, fragte sie. »Nach unserer Besprechung meine ich.«
»Ja«, sagte Baasteuwel. »Es kommt vielleicht ein wenig Bewegung
in die Sache. Es ist nicht ganz leicht, irgendwelche Maßnahmen in die Wege
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