Der Tote vom Strand - Roman
zu leiten, ohne dass Vrommel etwas merkt, aber wir schaffen das schon. Höchste Zeit, dass wir etwas zu tun kriegen, die ersten Tage sind mir eher vorgekommen wie eine Totenwache und nicht wie eine Mordermittlung. Aber jetzt wissen wir ja, woran es liegt. Weißt du, dass Vegesack ihn Stinktier nennt? Das ist ihm so herausgerutscht.«
Moreno sagte, sie habe das auch schon gehört, und lachte kurz.
»Bis auf weiteres müssen wir wohl einfach die Angel auswerfen«, sagte jetzt Baasteuwel. »Noch haben wir kein Ergebnis, aber das kommt schon noch. Du kannst mir glauben — wenn Vrommel irgendeine Leiche im Keller hat, dann werde ich sie ausbuddeln. Ich habe auch mit Frau Van Rippe gesprochen, wenn auch nur am Telefon, und Kohler hat sich um den Bruder gekümmert. Hat aber wohl nichts gebracht ... der ist sechs Jahre älter und hat keine Ahnung, wie Bruderherz seine jungen Jahre verbracht hat. Als das alles passiert ist, 1983, wohnte er schon nicht mehr hier.«
»Bitowski?«, fragte Moreno. »Dieser andere Knabe, den Vera Sauger Mikaela genannt hat. Habt ihr ihn gefunden?«
Baasteuwel schüttelte den Kopf.
»Leider nicht«, sagte er. »Das liegt an dieser verdammten Urlaubszeit. Angeblich ist er mit einigen Bekannten auf den Inseln, aber genau wissen wir das nicht. Ein Nachbar meint, er sei vorige Woche Sonntag losgefahren. Also genau an diesem verdammten Sonntag ... Er ist außerdem Junggeselle, also lässt er sich da draußen wohl volllaufen, oder er liegt hier am Strand vergraben. Wir werden uns morgen ein bisschen ausführlicher mit Verwandten und Bekannten unterhalten.«
»Wisst ihr, was er für ein Typ ist?«, fragte Moreno. »Wenn er wirklich Mikaela Lijphart getroffen und mit ihr gesprochen hat, dann hätte er doch auf die Vermisstenmeldung reagieren müssen.«
»Nicht, wenn er in einem Liegestuhl sitzt und sonnenwarmes
Bier trinkt«, meinte Baasteuwel. »Und auch nicht, wenn er eingebuddelt ist ...«
Er stopfte ein Stück Fleisch in den Mund und kaute nachdenklich darauf herum. Moreno tat es ihm nach und wartete.
»Na ja«, sagte Baasteuwel dann. »Ich habe Auszüge aus den Gerichtsprotokollen bestellt. Die kommen morgen. Und ein Verzeichnis aller Schülerinnen und Schüler der Voellerschule, das muss ich selber holen, das Büro bei denen ist um diese Jahreszeit nur halb besetzt.«
Moreno nickte. Effektiv, dachte sie. Der dreht nicht nur Däumchen und stellt Theorien auf. Jedenfalls nicht die ganze Zeit. Zum ersten Mal in diesen Wochen hatte sie das Gefühl, dass sie Aufgaben delegieren konnte. Dass sie sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen brauchte, dass die Dinge in kompetenten Händen ruhten. Was unleugbar eine Befreiung war.
Gut, dachte sie. Endlich einer, der etwas kapiert.
Dieses Urteil war Vegesack gegenüber ein wenig ungerecht, das war ihr klar, aber Baasteuwel und Kohler waren eben von einem anderen Kaliber. Einem Kaliber, das vermutlich nötig war, wenn sie diese Suppe aus Unklarheiten und Halbwahrheiten klären wollten. Und wenn sie in Erfahrung bringen wollten, wobei es bei der ganzen Sache wirklich ging.
Sie werden den Fall lösen, dachte sie. Ich kann die Scheiße jemand anderem überlassen.
»Ach, zum Teufel«, rief Baasteuwel mitten in einem Schluck Wein. »Maager! Für den ist am Samstag immerhin ein Anruf gekommen ... sie haben das oben im Heim erst jetzt herausgekriegt, und dann haben sie uns verständigt, offenbar hat irgendeine Aushilfe den Anruf entgegengenommen und Maager dann geholt. Es war so ungefähr gegen Mittag. Ja, an dem Tag, an dem er verschwunden ist. Was sagst du dazu?«
Moreno dachte lange nach, ehe sie antwortete.
»Es überrascht mich eigentlich nicht weiter«, sagte sie. »Aber sie wussten sicher nicht, wer angerufen hat?«
»Nein. Nur, dass es eine Frau war. Wenn sie einen Namen genannt
hat, dann haben sie den vergessen. Was glaubst du, wer es gewesen sein kann?«
Moreno trank einen Schluck Wein und dachte noch einmal nach.
»Sigrid Lijphart«, sagte sie dann. »Die Exgattin. Aber das sage ich nur, weil er sonst doch so gut wie keinen Menschen kennt.«
»Hm«, brummte Baasteuwel, der diese Möglichkeit offenbar noch nicht in Betracht gezogen hatte. »Und was könnte sie von ihm gewollt haben?«
»Einfach über alles sprechen, das kann doch schon reichen. Sie waren sechs Jahre verheiratet, haben sechzehn Jahre kein Wort miteinander gewechselt und haben eine gemeinsame Tochter, die verschwunden ist. Da müssen sie sich doch einiges zu sagen
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