Der Totenerwecker (German Edition)
du, sollen wir hingehen und uns vorstellen?«
»Das bedeutet wohl, dass du nicht mit mir vögeln willst?«
»Sarah, ist das alles, woran du denken kannst?«
Er fragte das mit einer gewissen Besorgnis in der Stimme, als befürchte er, dass Sarah gestört oder gar nymphomanisch veranlagt war. Josh hatte sich schon oft nach möglichen Fällen von sexueller Belästigung oder Missbrauch in ihrer Vergangenheit erkundigt. Er bestand fast darauf, dass es so sein musste. Anscheinend fand er keine andere Erklärung für ihren ausgeprägten Sexualtrieb oder bezog seine Weisheiten aus irgendeinem Selbsthilfe-Psychologiebuch. Männer glaubten immer, dass eine Frau einen Schaden haben musste, wenn sie eine stärkere Libido hatte als sie selbst. Das war eine von diesen Machoklamotten, die Sarah echt wütend machten.
Josh verhielt sich in dieser Hinsicht noch schlimmer als andere Kerle, denn er war selbst als Kind missbraucht worden. Er hatte ihr einmal davon erzählt und anschließend das Versprechen abgenommen, es nie wieder zu erwähnen. Er zählte zu den vermutlich Tausenden von Jungen, an denen sich ein Priester vergangen hatte. Im Sommer war er von seiner Mutter in ein Bibelcamp geschickt worden, und einer der Betreuer, ein allseits beliebter junger Priester, hatte ihn acht Wochen lang jede Nacht in den Wald verschleppt. Die Betreuer des Camps hatten den Kindern eingetrichtert, was sie in ihren Briefen nach Hause berichten sollten, und sie lasen jeden einzelnen vor dem Abschicken durch. Alle Briefe, die sexuellen Missbrauch oder überhaupt irgendwelchen Unmut über das Camp thematisierten, wurden vernichtet. Offenbar eine Verschwörung.
Als Josh nach Hause zurückkehrte, erzählte er seinen Eltern davon. Sie drehten völlig durch und steckten ihn in ein Heim für schwer erziehbare Kinder, in dem er erneut missbraucht wurde, diesmal von einem der älteren Jungen, der ihn mit vorgehaltenem Messer anal vergewaltigte, und einem der Erzieher, der ihn zu Oralverkehr zwang. Diesmal vertraute er sich niemandem an. Schließlich bekam er einen Wachstumsschub und prügelte den älteren Jungen grün und blau. Danach ließ ihn auch der Erzieher in Ruhe.
Der Priester, mit dem alles angefangen hatte, kam fast 20 Jahre lang ungeschoren davon, bis Josh und Sarah eines Tages vor dem Fernseher saßen und sein Foto in den Nachrichten auftauchte. Es folgte ein Bericht, wonach man ihn beschuldige, seit mindestens zehn Jahren Knaben zu missbrauchen.
»Seit mindestens 20 Jahren«, hatte Josh den Nachrichtensprecher verbessert und ihr dann seine Geschichte erzählt. Sie erklärte eine Menge – seine Zurückhaltung und Verklemmtheit im Schlafzimmer und die abwehrende Haltung, wenn es um Kindesmissbrauch durch katholische Priester ging. Josh war religiös, mied aber die Kirche wie die Pest, auch wenn er sich weiterhin als Katholik bezeichnete. Sarah verstand das nicht.
»Wie kannst du an einen Gott glauben, der zulässt, dass seine eigenen Vertreter auf Erden so etwas tun? Falls er existiert, könnte er genauso gut nicht existieren, es würde keinen Unterschied machen.«
»Gott hat damit nichts zu tun.«
»Aber ich dachte, Gott hätte mit allem was zu tun?«
»Mit dieser Sache hat er einen Scheißdreck zu tun! Das war nur ein Mensch. Ein kranker, wahnsinniger, böser Mensch.«
»Aber hat Gott diesen Menschen nicht erschaffen?«
»Gott gab dem Menschen den freien Willen.«
»Wie kann es freien Willen geben, wenn Gott allwissend ist? Wenn Gott schon weiß, wie du von deiner Geburt bis zu deinem Tod handelst, noch bevor er dich erschafft, dann erschafft er dich doch ausdrücklich zu dem Zweck, dass du entsprechend handelst. Sonst hätte er dich gar nicht erst erschaffen oder dir einen anderen Weg vorgegeben. Was ich damit sagen will: Ein allwissender Schöpfer und freier Wille sind nicht miteinander vereinbar. Allwissenheit führt zwangsläufig zu Determinismus.«
»Du musst es schon etwas simpler formulieren. Ich hab keinen Hochschulabschluss. Aber für mich klingt das so, als wolltest du behaupten, dass Gott wollte, dass sich dieser Priester an mir vergreift. Willst du das etwa behaupten, verdammt noch mal?«
Die Diskussion endete nicht gut. So wie immer, wenn Sarah versuchte, mit ihm über seinen Glauben zu diskutieren. Jedes Mal brüllten sie sich am Schluss an. Schließlich einigten sie sich darauf, dass das Thema tabu war, ebenso wie jede Erwähnung seines früheren Missbrauchs. Und Josh war unter ihrer geduldigen Anleitung und
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