Der Totenerwecker (German Edition)
ursprünglich geplant die Straße entlang, während die ersten Takte von Kerosene von Miranda Lambert erklangen.
»Light ’em up and watch them burn, teach them what they need to learn ...« Sie sang laut mit, während sie viel zu schnell rannte. Schon nach drei Straßenblocks war sie außer Puste. Sarah warf einen Blick auf ihr GPS-Gerät und sah, dass sie weniger als drei Minuten dafür gebraucht hatte. Sie musste das Tempo verringern. Es dauerte zwei weitere Blocks, bis sie sich weitgehend beruhigt hatte und ihre Atmung gleichmäßiger wurde. Es ärgerte sie, dass dieser Typ sie so aus der Fassung brachte. Am liebsten hätte sie an seine Tür geklopft und ihm kräftig in den Arsch getreten, um sich abzureagieren.
Zügig joggte Sarah an den Reihen von »Zu verkaufen«-Schildern vorbei, die sich wie Grabsteine aufreihten. Fast jedes dritte oder vierte Haus stand leer. Sarah bemerkte zum ersten Mal, wie einsam die Gegend geworden war. Als sie und Josh hierherzogen, hatte sich die Siedlung noch in Bau befunden. Fast täglich waren neue Paare und Familien dazugekommen. Doch dann verlangsamten sich die Baumaßnahmen bis zum Stillstand, und ein Massenexodus begann, als die Grundstückswerte fielen und die Leute ihre Kredite nicht mehr abbezahlen konnten. Inzwischen stand die Hälfte der Häuser zur Zwangsversteigerung. Ihr morgendlicher Dauerlauf gestaltete sich immer deprimierender, seit sie fast täglich ein neues Haus entdeckte, vor dem ein Verkaufsschild stand. Die meisten Schilder trugen die unheilvolle Ergänzung EIGENTUM DER BANK.
Miranda Lambert war fertig, und jetzt dröhnten die Revolting Cocks in Sarahs Ohren und forderten: »Let the bodies hit the floor!« Sarah musste sich zwingen, nicht wieder loszusprinten. Der Song brachte jedes Mal ihr Blut in Wallung, und sie fand ihn sehr passend, als sie durch das sterbende Viertel joggte, das sich nach und nach in eine Geisterstadt verwandelte.
Einige Blocks entfernt passierte sie eine Grundschule, und Sarah merkte, wie sich ihre Mutterinstinkte regten, als sie das unbeschwerte, fröhliche Kreischen von Kindern hörte. Sie betrachtete die glücklichen Gesichter, die auf dem Klettergerüst turnten oder in waghalsigen Kreisen über den gummierten Spielplatzboden tobten. Immer wenn sie hier vorbeikam, stellte sie ihre Entscheidung, mit dem Kinderkriegen noch zu warten, infrage. Sie wollte Babys mit Josh. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie die jetzt schon wollte. Ob sie jetzt schon ihr unbeschwertes Leben, ihre Freiheit und vor allem ihre Figur dafür opfern wollte. Sarah rannte an der Schule vorbei, und schon bald verlor sich das Kinderlachen hinter ihrem Rücken.
Nach einem weiteren Kilometer kam Sarah an der Baustelle einer Senioren-Wohnanlage vorbei. Die Arbeiten ruhten, seit der Geldfluss versiegt war und die Immobilienkrise mit voller Wucht zugeschlagen hatte. Nur rund ein Viertel der Häuser konnte als bezugsfertig bezeichnet werden. Bewohnte Häuser wechselten sich mit brachliegenden Bauplätzen ab. Gestern hatte vor einem der Häuser ein Krankenwagen gestanden, und Sarah war Zeuge geworden, wie man eine Bahre mit einem durch ein weißes Laken abgedeckten Körper heraustrug. In dieser Siedlung bedeutete ein Verkaufsschild nicht immer eine Zwangsversteigerung.
Sarah verglich auf dem Laufcomputer das Tempo mit ihrer gestrigen Runde. Der kleine Monitor zeigte ihr, wo sie am Vortag um diese Zeit gewesen war, und sie sah, dass sie immer noch fast einen halben Straßenblock Vorsprung hatte. Sie lief noch ein bisschen schneller und versuchte, einen ganzen Block Abstand zwischen sich und den virtuellen Gegner zu bringen, lief gegen sich selbst um die Wette.
Als Sarah eine Stunde später vor ihrem eigenen Haus ankam, war sie nass geschwitzt. Josh behauptete immer, dass sie wie ein Mann schwitzte. Das Sporttop klebte an ihrem Körper. Sie warf noch einen Blick auf den Laufcomputer und sah, dass sie ihren Rekord um eine volle Minute verbessert und 620 Kalorien verbrannt hatte. Sie spähte über die Straße, und die Fensterlamellen des nachbarlichen Arbeitszimmers schaukelten hin und her, als hätte sie gerade jemand losgelassen. Schnell eilte sie ins Haus.
Der Trockner war fertig. Sarah holte die Bettwäsche heraus und legte sie in den Bügelkorb, anschließend stopfte sie die große Steppdecke in den Trockner und stellte ihn auf die höchste Stufe. Sie lief gerade mit dem Korb die Treppe hinauf, als das Telefon klingelte. Sie rannte die letzten Stufen, ließ
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