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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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diskutierten über den Song.
    »Das Stück ist von Paul Pena, das weiß ich«, sagte der Erste. »Er hat es geschrieben und auch als Erster gespielt. Aber ich frag dich, wie hieß der weiße Junge, der es gecovert und zum großen Hit gemacht hat?«
    »Johnny Winters oder so«, erwiderte der Zweite. »Keine Ahnung.«
    »Es war einer von den Almond Brothers«, behauptete der Erste.
    »Von den Osmand Brothers, meinst du wohl.«
    »Almond, sag ich. Jede Wette.«
    »Steve Miller Band«, warf Holiday ein.
    »Was sagst du?« Der erste der beiden Männer drehte sich zu Holiday um.
    »Dieser Song ist der Hammer, Mann.«
    »Verdammt richtig. Aber kannst du uns verraten, wer ihn berühmt gemacht hat?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Holiday. Sein Stolz hatte ihn mit der Antwort herausplatzen lassen, aber jetzt wollte er nicht weiter in die Diskussion verwickelt werden.
    Holiday bestellte noch einen letzten Drink, nachdem bereits die Sperrstunde angekündigt war. Er stürzte ihn hastig hinunter und verließ die Bar mit einem unbefriedigten Gefühl. Gedanken an sein früheres Leben und die Umstände, unter denen er es hinter sich gelassen hatte, verdüsterten seine Stimmung.

    Er fuhr nach Osten. Er wohnte in einem begrünten Komplex draußen an der Prince George’s Plaza, etwas abseits vom East-West Highway; wollte er vom Leo’s dorthin gelangen, musste er nach Süden bis zur Missouri und dann rüber zur Riggs Road fahren. Doch unten bei der Kansas Avenue kam er auf die Idee, eine Abkürzung durch die Seitenstraßen zu nehmen. Erst auf der Blair erkannte er, dass das ein Fehler gewesen war und er auf die Hauptstraßen zurückkehren musste. Er bog links in die Oglethorpe Street ein, weil er dachte, er könne ihr bis zur Riggs folgen.
    Auf der Oglethorpe wurde ihm sofort klar, dass er sich verfahren hatte. Zu spät war ihm wieder eingefallen, was er eigentlich noch aus seiner Zeit als Cop wusste: Dieser Abschnitt der Oglethorpe endete als Sackgasse an den Metro- und B&O-Schienen. Holiday erkannte links das Tierheim der Washington Animal Rescue League und weiter unten die Druckerei bei den Gleisen. Rechts lag einer der Gemeindegärten, von denen es in den Außenbezirken von D.C. ziemlich viele gab. Dieser hier war mehr als einen Hektar groß.
    Genau in diesem Moment begann Holidays Handy in der Halterung unter dem Armaturenbrett zu klingeln. Jerome Beiton rief an und berichtete, wie der Abend verlaufen war. Holiday fuhr rechts ran, hielt auf einem Schotterstreifen und stellte den Motor ab. Beiton erzählte eine Geschichte von einem Möchtegern-Zuhälter, den er vor ein paar Monaten zu dem Kampf zwischen Tyson und McBride im MCI Center chauffiert hatte und dessen affige Gamaschen während der Fahrt den Geist aufgegeben hatten.
    Es war eine komische, wenn auch sehr vertraute Geschichte. Holiday und Beiton lachten gemeinsam darüber, beendete Holiday das Gespräch und parkte seinen Wagen in der Sackgasse neben dem Gemeindegarten. Er lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Er war nicht betrunken. Er war müde.
    Holiday wurde von einem Lichtschein, der sein Gesicht streifte, geweckt und schlug die Augen auf. Er erkannte einen blau-weißen Streifenwagen der Metropolitan Police mit ausgeschalteten Blinkleuchten auf dem Dach, der sich vom Wendehammer bei den Bahngleisen her näherte. Am Steuer saß ein Polizist, auf dem Rücksitz eine weitere Person, wahrscheinlich ein festgenommener Verdächtiger. Während sich der Crown Victoria langsam näherte, überlegte Holiday, wo er seine Pfefferminzpastillen hatte. Obwohl er den Blick nicht direkt auf den Polizeiwagen richtete, erkannte er aus dem Augenwinkel, dass der Polizist ein Weißer war. Die Gestalt auf dem Rücksitz nahm er nur als dunkle Silhouette wahr, mit schmalen Schultern und dünnem Hals. Holidays Instinkt sagte, entweder eine Frau oder ein Teenager. Kurz erkannte er eine Zahl auf dem unteren Teil des vorderen Seitenblechs. Der Polizist fuhr vorbei, ohne anzuhalten – obwohl er Holiday bemerkt haben musste, überprüfte er ihn nicht. Das Bild der Nummern verschwand gleich wieder aus Holidays Gedächtnis, dann kamen ihm plötzlich die Worte »Let It Grow« in den Sinn, und bei diesem Gedanken kicherte er, ohne selbst zu wissen warum, und schlief wieder ein.
    Als er einige Zeit später noch einmal aufwachte, war er immer noch benebelt. Er spähte in den Garten hinaus, in dem er schwarze Schatten hastig errichteter Lauben erkennen konnte, Rankpflanzen an Stangen und Spalieren,

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