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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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an seiner Tasse und konzentrierte sich auf die Männer.
    »Was siehst du mich so an?«, rief plötzlich einer der Männer ungehalten. »Wenn du einen Mann willst, bist du hier falsch.«
    Ci senkte den Blick. »Ich dachte, wir würden uns kennen«, sagte er schließlich und nahm noch einen Schluck Tee.
    Kan räusperte sich und gab Ci ein Zeichen, das dieser nicht verstand.
    Die Männer tranken weiter Likör, und die Kurtisanen kicherten, wenn sie die Hände der Männer unter ihren Kleidern spürten. Ci begann sich unbehaglich zu fühlen. Was taten sie hier? Worauf wartete Kan?
    Er konzentrierte sich wieder auf den Mann, der ihn so angefahren hatte. Er machte sich gerade recht ungeschickt daran, das Dekolleté des jüngsten Mädchens aufzuknöpfen.
    »Halt endlich mal still!« Er ohrfeigte die Kleine. Ci machte Anstalten, ihn zurückzuhalten, doch der Mann fuhr herum. »Und du, was willst du schon wieder von mir?«
    Ci schreckte zurück.
    »Wie wagst du es?«, fauchte nun auch die schöne Gastgeberin.
    Zu dem Mann sagte sie schlicht, aber bestimmt: »Auf diese Weise erobert man keine junge Dame.« Dann reichte sie ihm ein Glas, in das sie zuvor eine Flüssigkeit gegossen hatte.
    »Was ist das?«, grunzte der Mann und schnüffelte daran.
    »Ein Liebestrank. Er wird dir gut tun.«
    Der Mann kippte die Flüssigkeit mit einem Schwung hinunter, spuckte sie jedoch gleich darauf mit angewiderter Miene wieder aus.
    »Bei allen Göttern«, rief er. »Was ist das für ein ekelhaftes Zeug?«
    Die Frau lächelte geheimnisvoll und entblößte eine Reihe perfekter Zähne.
    »Katzensaft.«
    Ci biss sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. Katzensaft galt als Potenzmittel. Doch als er hörte, wie die Schöne dem Alten die Herstellung des Trunks erläuterte, verging ihm das Lachen.
    »Wenn du schon einmal einen Schwamm ausgedrückt hast, kannst du es dir vorstellen.« Sie schenkte dem Alten ein zweites Glas ein. »Man nimmt einen prächtigen Kater und bricht ihm mit einem Hammer die Knochen, doch ohne seinen Schädel zu zertrümmern, damit er am Leben bleibt. Man lässt ihn ein bisschen liegen und zündet dann sein Fell an. Schließlich wirft man das Tier in kochendes Wasser, würzt nach Geschmack, nach einer Stunde füllt man die Flüssigkeit ab, und fertig.«
    Der Mann schaute sie entgeistert an und warf das Glas zu Boden. Fluchend entfernte er sich, die anderen Männer folgten ihm mit den jungen Kurtisanen, als schuldeten sie ihm Gehorsam.
    Kan sah ihnen nach und lachte grimmig. Dann schenkte er sich Tee nach und bat Ci um Aufmerksamkeit.
    »Ci, das ist Blaue Iris. Eine Nachfahrin des Generals Yue Fei.«
    Sie neigte den Kopf, während Ci vor Schreck blass wurde. Er meinte etwas in den hellen Augen der schönen Frau erkannt zu haben, das ihm Angst machte.
28
    Die Neuigkeit, dass Blaue Iris von Yue Fei abstammte, empfing Ci wie einen Keulenschlag auf den Hinterkopf. Die schöne Frau mit den hellen Augen und Bewegungen, so geschmeidig wie die einer Gazelle, sollte drei Männer brutal getötet haben?
    Sofort bekam die aufregende Schönheit von Blaue Iris eine neue Dimension, mit einem Mal haftete ihren süßen Worten und sanften Gesten, die Ci zuvor verführerisch erschienen waren, etwas Bedrohliches an.
    Ci wusste nicht, was er sagen sollte, es gelang ihm soeben, ein »Sehr erfreut« hervorzubringen. Ihm war, als entdeckte er in der Vollkommenheit ihrer Augen eine verräterische Kälte. Sie erinnerte ihn an die täuschende Ruhe des Skorpions, kurz bevor er zum tödlichen Angriff übergeht, und sein Magen krampfte sich zusammen.
    »Aus diesem Grund wollte ich sie dir vorstellen. Ci arbeitet an einem Bericht über die Völker aus dem Norden, und er dachte, du könntest vielleicht behilflich sein. Du kümmerst dich doch noch um die Geschäfte deines Vaters?«
    »Im Rahmen meiner Möglichkeiten, ja …« Sie machte eine Pause. »Du forschst also über die Jin?«, sagte sie, an Ci gewandt. »Du hast Glück. Du kannst den Botschafter befragen.«
    »Das ist Unsinn, der Botschafter ist beschäftigt. Beinahe so sehr wie ich«, mischte sich Kan erneut ein.
    »Ebenfalls damit, Rockzipfeln hinterherzujagen?«
    »Iris, Iris, so zynisch wie eh und je.« Kan verzog das Gesicht. »Was Ci hören will, sind nicht die leeren Worte eines Mannes, der darauf trainiert ist, zu lügen. Der Junge sucht nach der Wahrheit.«
    »Hat der Junge keinen Mund?«, fragte Blaue Iris. Ci überhörte die Provokation nicht.
    »Ich erweise nur meinen Älteren den

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