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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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Verurteilten, die fleißig arbeiten, länger am Leben lässt.«
    »Richter Feng … Es gibt keine Beweise«, rief Ci flehend. »Kein normaler Mensch würde für dreitausend Qian töten …«
    »Du sagst es selbst: Kein normaler Mensch …« Feng schüttelte den Kopf. »Versuche nicht, eine rationale Erklärung für das Verhalten eines jähzornigen Betrunkenen zu finden, denn das wird dir nicht gelingen.«
    Ci senkte den Kopf. »Werdet Ihr mit dem Hüter sprechen?«
    »Ich habe dir gesagt, dass ich es versuchen werde.«
    »Ich … weiß nicht, wie ich Euch danken soll.« Ci ließ sich vor dem Richter auf die Knie sinken.
    »Du bist beinahe wie ein Sohn für mich, Ci.« Feng zog ihn wieder auf die Füße. »Der Sohn, den der Gott der Fruchtbarkeit mir verwehrt hat … Die Kleinlichen dürsten nach Besitz, Geld oder Vermögen, dabei ist der größte Reichtum der, den eine Nachkommenschaft dir schenkt, die dich im Alter pflegt und im Jenseits ehrt.« Ein Donnergrollen unterbrach seine Rede. »Verdammtes Gewitter! Das war ganzschön dicht … Jetzt muss ich mich auf den Weg machen. Grüß deinen Vater von mir.« Feng fasste Ci bei den Schultern. »In ein paar Monaten, wenn ich nach Lin’an zurückkehre, kümmere ich mich um die Revision.«
    »Danke, ehrenwerter Feng«, sagte Ci leise, ging erneut in die Knie und berührte mit der Stirn den Boden, um seine Bitterkeit zu verbergen. Als er wieder aufblickte, war der Richter verschwunden.
    * * *
    Ci versuchte, mit seinem Vater zu sprechen, doch es gelang ihm nicht. Der Mann hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und die Tür von innen verriegelt. Die Mutter bat Ci, den Vater nicht zu belästigen. Im Übrigen sei Lu ein erwachsener Mann, und alles, was sie für ihn zu tun versuchten, würde seine Schmach nur vergrößern. Ci nickte stumm. Er musste sich also allein um die Angelegenheit kümmern.
    Mittags bat er um eine Audienz beim Hüter der Weisheit, er wollte erfahren, ob Fengs Bemühungen Früchte getragen hatten. Der Justizbeamte empfing Ci überaus freundlich und bot ihm etwas zu essen an.
    »Feng hat nur Gutes von dir erzählt. Eine Schande, das mit deinem Bruder … Sag mir, was ich für dich tun kann.«
    Seine Freundlichkeit hörte nicht auf, Ci zu erstaunen.
    »Richter Feng sagte mir, dass er mit Euch über die Minen von Sichuan sprechen wollte«, gab Ci zur Antwort, nachdem er sich verbeugt hatte. »Er sagte, Ihr könntet meinen Bruder dorthin schicken.«
    »Ach ja, die Minen …« Der Hüter der Weisheit tat sich an einem Stück Kuchen gütlich und fuhr laut schmatzend fort: »Schau, mein Junge, im Altertum waren viele Gesetze überflüssig,denn es reichten fünf Beobachtungen: Man betrachtete die Vorfahren, das Minenspiel und die Gestik, hörte auf die Atmung und lauschte den Worten des Angeklagten. Nichts weiter war nötig, um eine schwarze Seele zu erkennen.« Er nahm einen weiteren Bissen. »Aber heute stehen die Dinge anders. Heute kann ein Richter die Vorfälle nicht mehr … sagen wir, mit derselben Leichtfertigkeit interpretieren«, sagte er. »Verstehst du, was ich sagen will?«
    Ci nickte, obwohl er nichts verstand. Der Hüter fuhr fort.
    »Du möchtest also, dass Lu in die Minen von Sichuan verlegt wird …« Er wischte sich die Hände an einem Tuch ab und stand auf, um ein Dokument zu holen. »Mal sehen … ah, hier ist es. Es ist tatsächlich so, dass unter bestimmten Umständen die Todesstrafe in eine Verbannung umgewandelt werden kann, wenn ein Angehöriger als Gegenleistung die nötige Summe aufbringt.«
    Ci spitzte die Ohren.
    »Leider gibt es im Fall deines Bruders keinen Zweifel. Lu hat sich des schlimmsten aller Verbrechen schuldig gemacht.« Der dicke Mann hielt einen Moment inne, um seinen nachfolgenden Worten Gewicht zu verleihen. »Und du solltest dankbar sein, dass ich die Enthauptung Shangs im Verfahren nicht als Teil irgendeiner familiären Magie betrachtet habe, denn dann würde nicht nur Lu den Tod der tausend Schnitte sterben, sondern auch du und deine Familie, ihr würdet lebenslänglich von hier verbannt.«
    Ci wurde flau im Magen. In der Tat besagte das Gesetz, dass die Angehörigen des Schuldigen, auch wenn sie des Verbrechens selbst unschuldig waren, mit dem Verbrecher doch dieselbe böswillige Natur teilten und in die Verbannung geschickt werden durften. Doch warum kam der Hüter der Weisheit darauf zu sprechen, was bezweckte er damit?
    Als der Justizbeamte Cis Verwunderung bemerkte, wurde er deutlicher.
    »Bao-Pao hat mir

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