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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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mit einem bestimmten Ziel nach Lin’an gekommen, und wenn er es erreichen wollte, musste er hart dafür arbeiten. Sein Körper hatte beinahe wieder zu seiner alten Stärke zurückgefunden, und seinen Geist dürstete es nach Wissen. Er nahm sich eine Tasse Reis und ging in die Bibliothek, wo seine Mitschüler lernten.
    Noch am selben Nachmittag traf er sich mit Meister Ming. Der Professor hatte wieder zu laufen begonnen, wie Ci erfreut feststellte.
    »Wieder am Studieren?«, fragte er Ci und konnte kaum verbergen, wie glücklich er war, seinen besten Schüler wieder zwischen seinen Büchern zu sehen.
    »Ja. Ich habe noch einiges vor mir.« Er zeigte Ming die nagelneue forensische Abhandlung, an der er arbeitete.
    Ming lächelte.
    »Übrigens,Bo war hier.« Ming setzte sich neben Ci. »Er hat mich auf den neuesten Stand der Untersuchungen gebracht. Offenbar soll Xu hingerichtet werden. Er berichtete, dass Blaue Iris geflohen sei und dass der Kaiser sein Versprechen zurückgezogen habe, dich in das Richteramt aufzunehmen.«
    Ci nickte.
    »So ist es. Nin Zong hat sich darauf versteift, all meine Entdeckungen als Hexerei abzustempeln.« Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Aber wenigstens hat er nicht meine Teilnahme an den Prüfungen verboten. Das ist das Einzige, was zählt.«
    »Gut«, warnte Ming, »aber es wird nicht leicht werden: Es sind noch zwei Jahre bis zum nächsten Termin, und die Prüfungen sind schwer zu bestehen … Weißt du, ich glaube nicht, dass du weiter als Schüler hier bleiben solltest. Deine forensischen Kenntnisse sind außergewöhnlich, und wenn du wolltest, könntest du unterrichten. Dann müsstest du dich auch nicht weiter um etwas sorgen, das du vielleicht nicht erreichst.«
    Ci sah Ming entschlossen an.
    »Ich danke Euch, aber ich will lernen. Mein einziges Ziel ist es, die Prüfungen zu bestehen … Das schulde ich mir, das schulde ich meiner Familie, und das schulde ich Euch.«
    Ming lächelte und nickte. Er stand auf, um sich zurückzuziehen, doch dann drehte er sich noch einmal um.
    »Eine Sache interessiert mich noch, Ci. Warum hast du das Angebot des Kaisers ausgeschlagen? Bo hat mir erzählt, dass Nin Zong dir im Austausch gegen dein Schweigen alles angeboten hat, wovon du träumtest: eine großzügige Entschädigung, eine zukünftige Rehabilitation und einen Posten als Richter. Warum hast du abgelehnt?«
    Ci betrachtete seinen alten Meister liebevoll.
    »Blaue Iris hat mir einmal erzählt, dass Feng unendlich viele Todesarten kenne.Vielleicht stimmte das. Doch was ich sicher weiß, ist, dass es nur eine einzige Art gibt, zu leben.«

ANHANG

IM ALTEN CHINA
    Leben und Gesellschaft
    Seit der Zeit des Konfuzius war die chinesische Gesellschaft in vier Kategorien eingeteilt: An erster Stelle standen die Kaiserlichen Beamten, gefolgt von den Bauern, die wiederum höhergestellt waren als die Handwerker. Die letzte Kategorie bildeten die Händler. Im Gegensatz zu den Bauern, die ein hohes Ansehen genossen, da ihre Arbeit das Volk ernährte, wurden die Händler verachtet und als Parasiten betrachtet, die zum Wohlstand des Reiches so gut wie nichts beitrugen.
    Die ersten Beamten
    Die chinesischen Kaiser führten ein Herrschaftssystem ein, das auf dem Prinzip der Meritokratie basierte. Jeder Bürger, ungeachtet seiner Herkunft, konnte es zu einem hohen Posten bringen – vorausgesetzt, er bestand die dafür vom Kaiser vorgesehenen Prüfungen, die sehr schwer waren. Um die Rechtmäßigkeit der Prüfungen zu gewährleisten, musstendie Bewerber nackt antreten, wurden abgetastet und für die gesamte Dauer der Prüfung, drei Tage und drei Nächte, in eine von 7500 Einzelzellen gesperrt.
    Verschiedene Wächter prüften die Nahrung der Bewerber und führten unangekündigte Kontrollgänge durch, in denen sie testeten, ob sich alle an die Regeln hielten.
    Außerdem wurden extra »Verräter« bezahlt, die jegliche Art von Betrugsversuch aufdecken sollten.
    Soziales Netz
    Der Staat teilte das Einkommen seiner Bürger in die Klassen »hoch«, »mittel« oder »gering« ein. Für den Fall, dass ein Bürger zahlungsunfähig war, bestimmte der Kaiser eine Karenzzeit, in der es verboten war, Miete einzufordern. Für die höhere Klasse betrug diese Zeit zwischen drei und sieben Tagen, für die mittlere zwischen fünf und zehn Tagen und für die niedrige zwischen sieben und vierzehn Tagen.
    Religion
    Die chinesische Kultur war geprägt von einem friedlichen Nebeneinander mehrerer philosophischer und

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