Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
umgezogen und trug jetzt verwaschene Jeans und ein weites weißes T-Shirt, das ihre Haut noch eine Schattierung dunkler aussehen ließ.
»Wahrscheinlich nicht deine Musik, wie?«, fragte sie und stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab.
»Was glaubst du, was ich so höre?«
»Gringomusik: Springsteen, Zeppelin, die Stones – so was?«
»Gar nicht. Und hör mir bitte auf mit Brucey-Baby. Mein Partner ist verknallt in den und lässt ihn von morgens bis abends laufen. Macht mich wahnsinnig. Hast du Miles? Kind of Blue, Sketches of Spain ?«
»Ich vergaß: deine Jazz-Gene. Nein, tut mir leid, habe ich nicht. Meinst du, ich sollte?«
»Jeder, der Musik mag, sollte mindestens ein Miles-Davis-Album in der Sammlung haben. Oder besser noch zehn«, sagte Max. »Und wie ich sehe, hast du was von Grover, da solltest du dir unbedingt auch mal John Coltrane anhören. Die Leute behaupten immer, Charlie Parker sei der Eckpfeiler des Jazz, aber praktisch jeder, der nach 1965 ein Saxophon in die Hand genommen hat, klingt mehr nach Coltrane.«
Er schaute weiter ihre Platten durch. Ganz hinten fand er, was er suchte: Al Greens Greatest Hits .
»Was hältst du davon?« Er hielt die Platte hoch.
»Reverend Al? Klar.«
Als die ersten Takte von »Let’s stay together« erklangen, setzte sich Max neben sie aufs Sofa. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, und es herrschte Stille, doch es war keine unangenehme, peinliche Leere, wie sie sich zwischen zwei Menschen auftut, die nicht mehr wissen, wie sie noch länger überspielen sollen, dass sie sich nichts zu sagen haben, sondern eine natürliche Pause im Gespräch.
Max schaute zu dem Bild an der Wand hinter ihr auf.
»Hast du das gemalt, in der Schule?«
»Schön wär’s«, sagte sie und drehte sich um. »Das ist El Balcón von Amelia Peláez. Avantgardistische kubanische Künstlerin. In ihrer Heimat war sie für ihre Wandgemälde berühmt.«
»Tut mir leid«, sagte Max. »Ich verstehe nicht viel von Kunst.«
»Macht ja nichts. Wenigstens tust du nicht so, als ob.«
Max glaubte, einen leisen Groll in ihrer Stimme zu hören, und vermutete, dass sie von einem Menschen, der ihr nahestand, belogen worden war, vielleicht von einem Freund, der sie betrogen oder ihr etwas vorgespielt hatte, was er nicht war – mit anderen Worten: von jemandem, der ein bisschen so war wie er selbst.
Obwohl sie mitten in der Nacht sehr eng beieinander auf ihrem Sofa saßen, hatte Sandra doch etwas an sich, dass ihn zurückhielt. Er beschloss, nicht den ersten Schritt zu tun, sondern Mitfahrer zu sein und sich nach ihrem Tempo zu richten. Er spürte, dass sie das so wollte, und war einverstanden.
»Erinnerst du dich an alle deine Fälle?«, fragte Sandra und stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab.
»Klar.« Max nickte.
»Raffaela Smalls?«
»Ja.« Er seufzte. »Arme Kleine.«
Das war 1975 gewesen. Ein schwarzes Mädchen, zwölf Jahre alt, war nackt aus dem Miami River gezogen worden, an Armen und Beinen gefesselt, eine Tüte über dem Kopf. Sie war vergewaltigt und dann erhängt worden.
»Erzähl mir nicht, dass du auch alle meine Fälle recherchiert hast. Genau wie meine Boxkämpfe.«
»So ähnlich. Aber an den erinnere ich mich auch noch«, sagte sie. »Ich weiß noch, dass ich damals deinen Namen gehört habe und dass ich dachte, du seist schwarz.«
»Das geht vielen so«, sagte Max.
»Du hast nicht aufgegeben in dem Fall, stimmt’s?«
»Ja, hat zweieinhalb Jahre gedauert.«
»Das ist ungewöhnlich in dieser Stadt, in diesem Staat, dass ein weißer Polizist so viel daransetzt, den Mord an einem schwarzen Kind aufzuklären.«
»Ich habe nur meine Arbeit gemacht. Joe und ich haben den Fall zugeteilt gekriegt. Joe und ich haben ihn gelöst. Da draußen laufen Kriminelle rum, es gibt Verbrechen, wir sind Polizisten. Wir tun, was wir zu tun haben. Mehr ist da nicht dabei.«
»Die Familie hat gesagt, wie freundlich du zu ihnen warst, dass du versprochen hast, den Mörder zu fassen.«
»Das waren anständige Leute, denen man ihr Kind weggenommen hat. Mit Schwarz oder Weiß hat das nichts zu tun, Sandra. Da geht es nur um Gut und Böse. Sie hatten Gerechtigkeit verdient, und die haben sie bekommen.«
»Es war ihr Onkel.«
»Dieses Stück Scheiße namens Levi Simmons.«
»Er hat behauptet, du und dein Partner, ihr hättet ihn zusammengeschlagen.«
»Er hat auch behauptet, dass er es nicht war.«
»Auf den Fotos sah er ziemlich ramponiert aus.«
Max antwortete nicht.
»Habt ihr
Weitere Kostenlose Bücher