Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
ehrlich und anständig, und du hast Selbstachtung, Joe Liston.«
»Meinst du?« Joe schnaubte vor Selbstverachtung. »Willst du wissen, warum ich den Scheiß mitgemacht habe, Lina? Ja? Willst du das wissen? Weil ich es unter normalen Umständen nie zum Detective gebracht hätte. Ich war ein ganz normaler Doughnuts essender und Kaffee trinkender Streifenpolizist, der dazu da ist, zehn bis zwölf Stunden am Tag den Nutten und Junkies das Leben schwerzumachen. Ich war der Mann, den die alten Damen angerufen haben, um die Katze vom Dach holen zu lassen. Ich war der Typ, der bei einem Mord die Schaulustigen ferngehalten hat. Ich war eine Uniform, kein Gehirn.
Es hat keinen Menschen interessiert, dass mir Sachen aufgefallen sind, die die Detectives übersehen haben. Dass ich mit Zeugen geredet habe, die sie aus Faulheit nicht befragt haben. Es hat keine Rolle gespielt, dass ich mit meinen Vermutungen, wer die Täter waren, ziemlich oft richtiglag. Weil es bei der Polizei von Miami einfach keine Rolle spielt, wie schlau oder wie gut du bist oder wie gut du sein könntest, wenn dir nur jemand die Chance geben würde, wenn irgendwer die Tür ein klein wenig aufmachen würde für dich. Nein, Sir! Es hängt alles nur von deiner Hautfarbe ab. Natürlich tun die nichts lieber, als dir zu erzählen, wie viele Schwarze sie beschäftigen. Aber sie sagen nicht, an welchen Stellen: Die sitzen in der Postabteilung und im Archiv, fahren Streife, sitzen am Empfangsschalter oder unten bei den Zellen. Mehr ist für uns nicht drin. Natürlich gibt es auch den einen oder anderen schwarzen Detective, aber das sind verdammt wenige. Und als ich dann endlich diese Marke gekriegt hatte, Gott, hat sich das gut angefühlt – verdammt, ich habe mich gut gefühlt. Ich war stolz auf mich. Ich hatte was erreicht.
Und das habe ich alles nur Max zu verdanken. Der war mir nichts schuldig. Er war der Wunderknabe mit der goldenen Zukunft. Meine Rolle war es, ihm zu zeigen, wie der Hase läuft, wie das Leben auf der Straße funktioniert, und dann sollte ich wieder abziehen. Aber er hat das nicht zugelassen. Er hat mich mitgezogen. Er hat sich schlichtweg geweigert, mit irgendjemand anderem zusammenzuarbeiten. Verstehst du, Lina? Er hat sich einfach geweigert. Er hat Sixdeep gesagt, er fährt lieber weiter auf Streife, als mit irgendeiner Weißnase zusammenzuarbeiten, der die Arbeit nicht so genau nimmt, weil er lieber Football gucken oder eine Nutte ficken will. Du redest von Ehrlichkeit und Anstand, aber dieser Mann hat das im Überfluss!
Du meinst, es geht darum, zu tun, was ich für richtig halte?«, fragte er, als die Scheibe zu Ende war, die Nadel sich vom Vinyl hob und der Arm in seine Ausgangsposition zurückschwenkte. »Aber es geht nicht nur darum. Tag für Tag werden in Miami unschuldige Schwarze von einem weißen oder einem Latino-Bullen angehalten. Manchmal gibt es sogar einen Grund, manchmal suchen die Bullen nur jemandem, den sie schikanieren können. Der Schwarze beschwert sich und wird wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten festgenommen, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Störung der öffentlichen Ordnung. Er kommt vor einen Richter, und die Geschworenen sehen nichts anderes als die Farbe seiner Haut. Wenn er Glück hat, wandert er in den Knast. Wenn nicht, endet er wie McDuffie. Und weißt du was? Wenn ich kein Polizist wäre, dann hätte ich das sein können, nur weil ich das Pech hatte, in dieser sogenannten zivilisierten Gesellschaft mit der falschen Hautfarbe geboren zu werden. Sixdeep, die MTF, deren Vorgehensweise – unsere Vorgehensweise -, das ist alles ein Teil des Problems, und zwar ein großer. Und ja, du hast recht, Lina, ich bin das alles leid. Es hängt mir zum Hals raus. Irgendwer muss diese Leute aufhalten. Ganz einfach. Und genau das werde ich tun. Aber Max wird mit denen zusammen untergehen.«
»Weil auch er ein Teil des Problems ist«, sagte sie.
»So ist es wohl«, antwortete Joe und leerte sein Glas.
»Ich möchte ihn kennen lernen«, sagte Lina.
»Wen? Max?«
»Ja, Max. Deinen Partner.«
»Warum?«
»Ich will wissen, wie er ausieht. Ich will ihm in die Augen sehen. Ich will sehen, was für ein Mensch er ist.«
»Das habe ich dir doch gesagt.«
»Hast du. Aber ich will es selber sehen.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte Joe. »Ich werde das Leben dieses Mannes ruinieren, und du willst dich mit ihm anfreunden?«
»Ich will mir sicher sein. Weil ich diese Sache mit dir
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