Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
ironisch. »Damit du dich auf der Calle Ocho nicht für mich schämen musst?«
»Ich schäme mich nicht für dich«, entgegnete sie. »Die Tanzschule ist gleich bei euch um die Ecke. Wenn du um sechs Feierabend machst, können wir hingehen.«
»Wenn meine Kollegen spitzkriegen, dass ich Tanzstunden nehme, machen die sich bis ans Ende meiner Tage über mich lustig.« Max lachte.
»Du gehst mit mir«, sagte sie.
»Das nützt nichts.«
»Dann erzähl es keinem.«
»Auch das wird nichts nützen, Sandra, weil Polizisten früher oder später alles rausfinden – besonders, wenn es um einen der ihren geht.«
»Du kommst mit«, beharrte sie. »Weil ich nämlich nicht allein gehen werde.«
»Du musst das doch gar nicht lernen. Du tanzt wie ein Engel.«
»Engel tanzen nicht.«
»Aber wenn, dann würden sie tanzen wie du«, sagte Max.
Einen Moment lang schauten sie sich in die Augen, und die Welt um sie herum schien stillzustehen.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er und brach den Zauber.
»Schön, dich zu sehen.«
Sie beugten sich über den Tisch und küssten sich.
»Heißt das, du kommst mit?«, fragte sie.
»Gott, du bist unmöglich!« Er lachte. »Lass mich erst den Fall abschließen, an dem ich grad arbeite, okay? Dann komme ich mit.«
»Du wirst es lieben.«
»Das bezweifle ich.«
»Du wirst es lieben lernen.«
»Genau das hat mein Trainer auch gesagt, als mir einmal einer im Ring die Rippen gebrochen hat.«
»Du hast weitergemacht, stimmt’s?«
»Na klar«, sagte Max.
»Siehst du.«
Das Essen wurde gebracht. Sie hatten zehn Riesenkrabbenscheren mit Senf-Mayo-Soße und zerlassener Butter bestellt, die dem leicht süßen und milden weißen Fleisch eine besondere Note verlieh. Dazu einen großen Teller gebratene grüne Tomaten und die größten Bratkartoffeln, die Max je gesehen hatte: so groß wie ein Laib Brot, in Scheiben geschnitten.
Nach dem Essen gingen sie ins Kino auf der Lincoln Road, um The Bronx zu sehen. Sandra hatte den Film ausgewählt. Max hätte etwas anderes vorgeschlagen, einen Kneipenbesuch zum Beispiel. Das Letzte, wonach ihm der Sinn stand, war ein Polizeifilm, erst recht einer, der für seine »düstere Authentizität« gelobt worden war – im Grunde war das, als würde sein Arbeitstag um zwei Stunden verlängert. Aber er hatte sich erweichen lassen, als Sandra erwähnt hatte, dass Pam Grier mitspielte. Er hatte alle ihre Filme aus den Siebzigern gesehen, die allesamt, ohne Ausnahme, grottenschlecht waren – besonders die, in denen sie die Kleider anbehielt, aber zu seinem Glück hatte sie davon nur wenige gemacht.
Das Kino war halb leer. Sie ließen sich mit ihren Colas in einer der vorderen Reihen nieder.
Paul Newman spielte einen Bilderbuchpolizisten mittleren Alters, der in einer der übelsten, heruntergekommensten Gegenden der South Bronx Dienst tat. Es gab zahllose ellenlange Einstellungen von urbanem Ödland, die, hätte man die Temperatur hochgefahren und ein bisschen Sonnenschein und ein paar Palmen dazugegeben, ungefähr halb Miami hätten sein können.
Nach fünfzehn Minuten war Max zu Tode gelangweilt. Die Geschichte mäanderte vor sich hin, und Pam war weit und breit nicht in Sicht. Ihn verlangte es nach Alkohol und einer Zigarette. Paul Newman und sein Partner versuchten, einen Transvestiten davon abzubringen, sich von einem Hausdach zu stürzen. Paul Newman – Mitte fünfzig, und genauso sah er auch aus – ging eine Affäre mit einer jungen drogensüchtigen Latina ein. Max gähnte und warf einen Blick auf Sandra, die ganz hin und weg war. Warum, war ihm schleierhaft. Vermutlich verpasste er etwas extrem Tiefgründiges. Er musste an das Spirituosengeschäft in der Nähe des Kinos denken. Er spielte mit dem Gedanken hinauszugehen, sich einen Flachmann mit Bourbon zu holen und eine zu rauchen. Dann erschien Pam auf der Leinwand, und sofort hatte Max seine Bedürfnisse vergessen. Sie sah ziemlich krass aus, weil sie eine durchgeknallte drogensüchtige Nutte spielte, die zwei von Paul Newmans korrupten Kollegen umbringt. Noch nie zuvor hatte er auf ihr schauspielerisches Talent geachtet, aber er musste zugeben, dass sie einem ganz schön Angst machen konnte. Sie murkste die Leute mit Rasierklingen ab, die sie in ihrem Mund versteckte (den Trick mit den Rasierklingen im Mund hatte sie schon in Foxy Brown eingesetzt, aber damals, um sich zu befreien) – sie war eine einzige eiskalte Gefahr. Sie brachte die beiden korrupten Bullen um und war wieder verschwunden.
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