Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
und bog mehrmals den Zeigefinger durch, bevor er den Arm wieder senkte.
»Rufen Sie einen Arzt, verdammt, aber plötzlich!«, schrie Joe Eldon an, der benommen dastand und sich in seinem zerstörten Büro umschaute.
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Der Montagmorgen war die Zeit, zu der Gemma Harlan ihren Praktikanten gern etwas Neues zum Thema Autopsie vermittelte. Neue Woche, neue Lektion, das war ihr Motto. Heute wollte sie die Kunst und Praxis der Organentnahme demonstrieren. Und sie hatte eine Leiche, die sich ideal als Demonstrationsobjekt eignete: Todesursache bekannt (die Schießerei am Flughafen), also keine verdächtigen Umstände und daher kein detaillierter ärztlicher Bericht vonnöten, nur das Wesentliche. Perfektes Lehrmaterial für ihren neuen Rekruten.
Seit zwei Wochen war ein junger Mann namens Darius Vincenzio bei ihr und lernte die Grundlagen des Handwerks. Darius, der in der gesamten Rechtsmedizin nur »V« genannt wurde, war schnell von Begriff, man musste ihm alles nur einmal zeigen und erklären, und er hatte es intus. Gemma war schwer beeindruckt von ihm und spielte sogar mit dem Gedanken, ihm nach seinem Praktikum eine Anstellung anzubieten. Das Einzige, was ihr Sorgen bereitete, war, dass er noch keinen KuK-Anfall gehabt hatte – Kollabieren und Kotzen. Die meisten Praktikanten erledigten das bei ihrem ersten oder zweiten Blick auf Eingeweide – genau wie sie selbst -, er jedoch hatte noch nicht die kleinste Spur von Unwohlsein in Anwesenheit der Toten erkennen lassen. Sie konnte nur hoffen, dass er sich nicht alles aufsparte, bis ihm etwas wirklich Ekliges unterkam, und dass er kein Psycho war.
Die Leiche wurde aus dem Kühlcontainer von Burger King geholt und auf einer Bahre ins Labor gerollt, wo sie aus dem Sack geholt, identifiziert, gewogen und gemessen wurde.
Carmine Desamours. Geschlecht: männlich. Hautfarbe: schwarz. Haarfarbe: schwarz. Augenfarbe: grün. Größe: 179 Zentimeter. Gewicht 70 Kilo. Muttermale: ein Leberfleck links vom Bauchnabel. Narben: großflächig und alt.
Die Wunden wurden untersucht: zwei saubere Eintrittswunden, eine rechts, eine links des Rückgrats, vereinbar mit Projektilen vom Kaliber.38. Die Haut war eingekerbt und vom Schießpulver schwarz gebrannt. Die Austrittswunden in der Brust waren größer, ungefähr vom Durchmesser eines Vierteldollars.
Nachdem Darius und Martin die Leiche gewaschen und auf den Autopsietisch gelegt hatten, bat Gemma ihren Praktikanten, die Schnitte zu machen, während sie die Play-Taste ihres Kassettenrekorders drückte und »Raindrops Keep Fallin’ On My Head« von Bacharach und Orchester aus den Lautsprechern ertönte.
Darius machte den Y-Schnitt von den Ohren und seitlich über den Hals bis zum Brustbein. Dann den T-Schnitt von Schulter zu Schulter und über den Thorax zentral abwärts bis zum Schambein. Zum Schluss der vertikale Schnitt über den Kehlkopf. Die Schnittführung war wie immer perfekt, wie aus dem Lehrbuch.
Gemma klappte die Hautlappen zurück und legte das Brustbein frei. Dann nahm sie eine elektrische Säge und durchtrennte zu beiden Seiten der Brusthöhle die Rippen, um dann vorsichtig das Sternum mit den anhängenden Rippen abzunehmen, sodass Herz und Lunge freilagen.
Dann machte sie sich an die Arbeit und erklärte jeden Schnitt und wie wichtig es war, sie in der richtigen Reihenfolge vorzunehmen, während sie mit dem Skalpell zuerst das Herz und dann die durchschossene Lunge herauslöste. Sie entnahm nur den linken Lungenflügel und überließ es Darius, seine Kenntnisse am rechten auszuprobieren. Er war ein Naturtalent, ein Meister des Skalpells.
Dann nahmen sie sich den ersten Teil des Verdauungstrakts vor: Speiseröhre, Magen, Zwölffingerdarm, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm und Milz. Eine sehr viel delikatere Prozedur, die sie gern mehrmals von vorne bis hinten vorführte, bevor sie die Praktikanten darauf losließ.
Nachdem sie den Magen entnommen hatte, reichte sie ihn Darius, damit er ihn auf die Waage legte.
Er nahm ihn entgegen. Und zog die Stirn in Falten.
»Da ist irgendwas Komisches«, sagte er und betastete eine Ecke des Organs.
»Was?«
»Da ist … da ist was drin.«
»Nahrung vielleicht?«
»Fühlt sich nicht an wie Nahrung«, sagte er. »Das ist eher … eher hart.«
»Vielleicht eine Kugel«, sagte Martin von jenseits des Autopsietisches. »Man wundert sich immer wieder, wo die Dinger landen. Wir hatten doch mal diesen Typen mit dem Kopfschuss. Die Kugel haben wir letztendlich im Rektum
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