Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
sich verlobt und sogar schon einen Hochzeitstermin festgesetzt, bis Joe erfahren hatte, dass sie bereits einen Ehemann und zwei Kinder hatte, denen sie regelmäßig Geld nach Hause schickte. Über die Trennung hatte er nicht allzu viel gesprochen. Das wenige, das er erzählt hatte, war direkt aus der Phrasendreschmaschine entnommen – dumm gelaufen, das Leben geht weiter, und irgendwann sind wir tot, und so weiter -, die Plattitüden, die Menschen so von sich geben, wenn sie ihren Schmerz für sich behalten wollen. Max wusste, dass sein Freund tief verletzt worden war. Er erkannte es in seinen Augen und in seiner Art – in dem trüben, verwundeten Blick, dem allgemeinen Mangel an Lebensfreude und dem allzu schnellen Rückgriff auf Zynismus. Vor seinem Marisolgate hatte Joe fest daran geglaubt, dass die allermeisten Menschen im Grunde ihres Herzens gut waren und dass sie es einem danken würden, wenn man ihnen half. Danach hatte er sich Max’ Sichtweise angenähert, welche besagte, dass man sich am besten eine Tollwutimpfung geben ließ, bevor man jemandem eine helfende Hand reichte, weil derjenige einen höchstwahrscheinlich beißen würde. Und er war ein besserer Polizist geworden. Während der Beziehung zu Marisol war er nie als Erster durch eine verschlossene Tür gegangen und immer nur als Zweiter ans Autofenster eines Verdächtigen getreten. Nach der Trennung hatte er sich ganz in die Arbeit gestürzt: Immer als Erster rein, als Letzter raus. Alles Zögern, alle halben Schritte gehörten der Vergangenheit an. Doch jetzt vermutete Max, dass er sich wieder in sein altes, glückliches Selbst zurückverwandeln würde, sobald sich die neue Flamme in ein heimisches Kaminfeuer verwandelte, und das machte ihm Sorgen. In den letzten drei Jahren waren sie ein überragendes Team gewesen, regelrechte Superhelden. Sie hatten wichtige Fälle geknackt, solide Verhaftungen vorgenommen und eine Verurteilungsrate von 97 Prozent erzielt – die höchste in ganz Florida. Seit vier Jahren wurden sie regelmäßig ausgezeichnet. Beide waren sie auf dem bestem Wege zu einer fetten Beförderung. Sie waren schon immer gut gewesen, besser als die meisten, aber wenn man einmal sehr gut war, war gut nicht mehr gut genug.
»Was macht sie?«
»Sie ist Lehrerin. Erste Klasse.«
»Wann habt ihr euch kennen gelernt?«
»Vor zwei Monaten.«
»Zwei Monate …« Max war überrascht, dass Joe ihm noch nicht von ihr erzählt hatte. »Wie? Und es fing alles ganz harmlos an, bis du plötzlich merktest, dass du einen Ständer kriegst, oder was?«
»Ich wollte mir ihrer erst sicher sein.« Joe lächelte. »Und das bin ich jetzt.«
»Das freut mich für dich, Joe. Du hast es verdient. Wo habt ihr euch kennen gelernt?«
»Du wirst es nicht glauben, Max …«
»Versuch’s.«
»In der Kirche.«
»In der Kirche? Seit wann gehst du – Joseph George Liston – in die Kirche?«
»Seit zwei Monaten.«
»Ah, verstehe.«
Sie waren beide keine Kirchgänger, aber wann immer Max nachdenken musste, sei es über einen Fall oder ein persönliches Problem, suchte er die nächste und verlassenste Kirche auf. Es war eine Angewohnheit, die er seit damals, als er in seinem ersten Jahr als Detective einer Eingebung gefolgt war, kultiviert hatte. Eines heißen Nachmittags war er zu dem Schluss gekommen, dass er dringend einen kühlen, dunklen Ort brauchte, um über den Fall eines Serienvergewaltigers nachzudenken, der sich als Handwerker ausgab, um sich Einlass in die Wohnungen seiner Opfer zu verschaffen. Und so war er in das nächstbeste geeignete Gebäude marschiert, das er finden konnte: die Plymouth Congregational Church in Coconut Grove. Nachdem er fünf Minuten im Halbdunkel auf der harten, lackierten Bank gesessen hatte, den Geruch von Kerzenrauch in der Nase, hatte er den Fall gelöst. Ihm war schlicht und ergreifend etwas wieder eingefallen, was ein Augenzeuge über das Design der Schlafzimmervorhänge eines der Opfer gesagt hatte und was er nur wissen konnte, wenn er selbst in dem Raum gewesen war. Der Geistesblitz war ihm gekommen, nachdem er sich all die Informationen, die er aufgenommen hatte, in Erinnerung gerufen, sie gesiebt, sortiert und noch einmal sortiert hatte. Und seit damals ging er jedes Mal, wenn er nicht mehr klar sehen konnte – ob beruflich oder privat – in die nächste Kirche, um nachzudenken.
Währenddessen wartete Joe draußen. Joe glaubte nicht an Gott und machte einen Bogen um jede Kirche. Sein Vater war Priester und
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