Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Grenze zur Dominikanischen Republik, wo ihre Eltern lebten. Sie beherrschte vier Sprachen: Spanisch, Kreolisch, Französisch und Englisch. Danielle kannte er seit seiner Kindheit. Damals war sie ein mageres kleines Ding gewesen, immer halbtot vor Hunger, ihre Arme und Beine hätte man als Zahnstocher verwenden können. Und wie viele Kinder, die in den Slums aufgewachsen und danach zu Geld gekommen waren, hatte sie sich in null Komma nichts eine Fettschicht zugelegt. Er konnte es ihr nicht verübeln. Bevor sie nach Amerika gekommen war, war das einzige Fleisch, das sie je gegessen hatte, Ratten und Mäuse gewesen. Sie trug ihre Kleider weit und lang, um die Speckrollen zu verstecken. Sie und Jane waren ein Paar, und das schon seit ihrer ersten Begegnung vor zwölf Jahren. Das kreolische Wort für Frauen wie sie war madivine , aber in ihrer Gegenwart hatte er es noch nie benutzt. Dazu respektierte er sie zu sehr, und er mochte ihren Stil. Sie hatten seine volle Unterstützung. Sie konnten so unangenehm und bösartig werden wie die besten Männer, die er kannte, aber wenn er sie darum bat, führten sie die heißesten, sinnlichsten Shows für ihn auf. Nichts machte ihn mehr an, als zwei oder drei Frauen zuzusehen, erst recht, wenn eine von ihnen neu war im Spiel. Er liebte es zu sehen, wie die Neuen sich wehrten – und wenn Frauen gegeneinander kämpften, Mann, was für ein Schauspiel. Und sie hörten nicht auf, sie gingen immer wieder aufeinander los, wieder und wieder. Manchmal war das Zusehen beim Kämpfen besser als der Sex, der folgte.
Zwischen Jane und Danielle saß, in einem eleganten neuen grauen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte, Jean Assad, der Katzenmann. Allzu schlecht sah er nicht aus, in Anbetracht dessen, was mit ihm geschehen war. Kerzengerade saß er da, die Beine fest zusammengepresst, als hätte er keine Eier, die Hände flach auf den Oberschenkeln, genau wie beim letzten SNBC. Sein Gesicht war versteinert, ausdruckslos und reglos, seine Augen leer, sie schienen nicht zu registrieren, was sie sahen, das Leben darin weggeschlossen. Daheim in Haiti hatte er die Houngans sagen hören, die Zombies hätten diesen Blick, weil sie nichts anderes sehen konnten als den Abgrund zwischen dieser Welt und der nächsten.
Als die Ampel umsprang, fuhren sie weiter Richtung Gericht.
Der Mercedes hielt an und wartete unweit einer Telefonzelle auf der North West 2nd Street, direkt hinter dem Gerichtsgebäude.
Um kurz vor zehn stieg Bonbon aus dem Wagen und ging zur Telefonzelle. Er trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug mit weißem Hemd, roter Krawatte und dunkelgrauer Weste. Auf der Straße, die hauptsächlich von Geschäftsleuten auf dem Weg zu einem Meeting und Rechtsanwälten und ihren Mandanten auf dem Weg zum Gericht frequentiert wurde, wo alle elegant, manche sogar teuer gekleidet waren, wäre er vielleicht nicht weiter aufgefallen. Doch sein Hut und die Art, wie er ihn trug, ließ die Menschen zweimal hinsehen. Es war ein schwarzer Zylinder mit rot-weiß gestreiftem Band. Er machte ihn fünfzehn Zentimeter größer und verlieh seiner Erscheinung den Charme eines als Totengräber verkleideten Zirkusdirektors.
Das Telefon klingelte um Punkt zehn Uhr. Alle Mitglieder der Organisation trugen die gleichen Schweizer CompuChron -Digitaluhren mit roter LED-Anzeige, und alle waren auf die Sekunde genau gleich eingestellt.
Bonbon nahm den Hörer ab.
» Palé map kouté «, sagte Bonbon. Sprecht, ich höre.
» Yo tout là «, antwortete eine männliche Stimme am anderen Ende. Sie sind da.
» Sèten?«
» M’sèten .« Die Bestätigung. Er war sicher.
Bonbon stieg wieder in den Wagen und nickte Marcus zu.
Sie fuhren zum Gerichtsgebäude und hielten vor dem Eingang. Danielle öffnete die Tür und stieg aus. Bonbon drehte sich um und sah Jean Assad an.
» Allay netwaye fatra andedan «, sagte Bonbon, langsam und deutlich, wie ihm aufgetragen war.
Ohne die geringste Regung in dem zu einer teilnahmslosen Maske erstarrten Gesicht glitt Jean Assad aus dem Wagen und ging auf das Gerichtsgebäude zu, hinter ihm mit einigen Schritten Abstand Danielle.
Als sie wieder da war, fuhren sie ein Stück weiter auf die West Flagler Street und fanden einen Parkplatz mit freiem Blick auf die imposante weiße Granittreppe des Gerichtsgebäudes.
Bonbon wickelte ein ovales Mandelbonbon aus dem Papier und steckte es sich in den Mund.
Der Mord an den Polizeibeamten Patti Rhinehart und Leo Crews am Abend des 6. März
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