Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
seines Vaters. Joe hatte das nie laut gesagt, aber er vermutete, dass Max’ Vorliebe für schwarze Frauen nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass seine Mutter sie gehasst hatte, seit sein Vater sie wegen einer Sister, die er auf einer Tournee kennengelernt hatte, verlassen hatte. Max’ Gewohnheiten zu ändern, war keine leichte Aufgabe, aber Joe war fest entschlossen, ihn zur Vernunft zu bringen. Er wollte, dass Max sein Potenzial als Polizist verwirklichte, und er selbst wollte so hoch kommen auf der Leiter wie nur möglich. Er gehörte nicht zu Burns’ engerem Kreis wie Max und ein paar andere. Das waren Stars, zukünftige oder aktuelle, Könige und ihre Erben. Und so war Joe darauf angewiesen, dass Max etwas aus sich machte, damit er in seinem Gefolge mit aufsteigen konnte. Nur dank Max’ Weigerung, mit einem anderen Partner zusammenzuarbeiten, war er Detective geworden, und wieder nur dank Max war er bei der MTF gelandet. Er wusste, dass er seine Karriere Max und nicht so sehr seinen eigenen Leistungen verdankte und dass er andernfalls nicht so schnell so erfolgreich gewesen wäre, aber für den Moment konnte ihm das nur recht sein: Es ging nach oben und nicht nach unten, und genau dort wollte er sein und bleiben. Nicht zuletzt, weil er die Frau gefunden hatte, die er heiraten und mit der er eine Familie gründen wollte. Sie hatten schon darüber geredet, zusammenzuziehen.
Trotz des Verkehrs blieben Max und Joe noch zwanzig Minuten bis Schichtbeginn. Meistens richteten sie es so ein, dass sie doppelt so viel Zeit hatten, um vor Arbeitsantritt noch bei Sandino’s Grill einzukehren, einem Café, das von einem siebzigjährigen Kubaner namens Cristobal betrieben wurde. Er saß den ganzen Tag in einem beige- oder olivfarbenen Anzug mit Panamahut, glänzenden schwarzen Lederschuhen und einem Gehstock aus Mahagoni mit goldenem Griff auf einem Klappstuhl vor der Tür, rauchte Zigarren, schaute in die Welt und plauderte mit den Passanten. Max hatte das für eine Exzentrizität gehalten, eine bewusste Entscheidung, seinen Ruhestand zu verbringen, aber in Wahrheit war es seine Methode, für Umsatz zu sorgen. Er grüßte alle Leute, die er jeden Tag sah, früher oder später unterhielten sie sich mit ihm, und kurz darauf waren sie Stammgäste. Er kannte sie alle beim Namen. Das Café wurde von seinen eineiigen Zwillingssöhnen geführt, die kochten und kellnerten. Sie hießen Benny und Tommy. Man wusste nie, wer gerade kochte und wer kellnerte.
Fast jeden Morgen, am Anfang oder am Ende ihrer Schicht, frühstückten Max und Joe bei Sandino’s, aber heute hatten sie nur Zeit für einen schwarzen Kaffee und ein kubanisches Sandwich zum Mitnehmen.
Drinnen war es kühl und dunkel, die Holztische glänzten, der Fußboden war gebohnert. An den Wänden hingen die kubanische Flagge und eine Landkarte von Kuba, außerdem gerahmte Schwarzweißfotos aus der Prä-Fidel-Ära. In seiner Jugend hatte Cristobal Schlagzeug gespielt. Es gab Bilder von ihm im weißen Smoking mit schwarzer Fliege, wie er in verschiedenen Bands spielte, Trios, Quintette, Sextette, Bigbands. Bilder von einem lächelnden Cristobal inmitten junger, schöner Frauen, beim Handschlag mit Priestern, Soldaten und – zweimal – dem jungen Frank Sinatra. Mit Vorliebe erzählte er die Geschichte, wie Sinatra eines frühen Morgens des Jahres 1947 in einen Club in Havana spaziert kam, wo Cristobal gerade mit seinen zwei Brüdern spielte. Sinatra war zu ihnen auf die Bühne gekommen und hatte ein paar Songs gesungen, »Close To You«, »One For My Baby« und »These Foolish Things«. Cristobal – der einzige der drei, der ein paar Brocken Englisch konnte -, hatte seither den Kontakt zu dem Sänger gehalten. Sinatra hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, im Sandino’s vorbeizuschauen, wann immer er in der Stadt war, meistens kurz nach Ladenschluss, wenn keine Gäste mehr da waren.
Max und Joe nahmen an einem Fenstertisch Platz und warteten auf ihre Sandwiches, die von Benny oder Tommy zubereitet wurden. Dankbar zündete sich Max eine Marlboro an, nahm den ersten tiefen Zug und behielt ihn ein paar Sekunden in den Lungen, bevor er den Rauch langsam erst durch die Nase, dann durch den Mund ausstieß. Er trank einen Schluck kubanischen Kaffee und schaute zu Joe hoch, in dessen Augen er Missbilligung zu sehen erwartete. Aber Joes Blick klebte an dem Fernseher hinter ihm. Max drehte sich nicht um. Frühstücksnachrichten, das Gleiche wie in der
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