Der Totenschmuck
später.« Camille keuchte. »Oh Gott, wieso musste es so weit kommen? Ich habe so hart dafür gearbeitet.«
»Das stimmt. Und deshalb müssen wir es auch so machen. Okay?«, entschied Drew mit der Autorität des älteren Bruders.
»Für mich kein Problem«, sagte Jack.
Camille schwieg. Im Spiegel sah Sweeney, wie Drew einen Arm um sie legte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Alle drei verließen die Diele und Sweeney zählte bis fünfzig, bevor sie aus der Garderobe und durch die Haustür schlüpfte.
Auf dem Nachhauseweg kaufte Sweeney sich indisches Take-away und hielt am Videoshop. Es war so feuchtkalt und das Wochenende hatte dermaßen an ihren Kräften gezehrt, dass sie sich nur noch ins Sofa kuscheln wollte, am liebsten mit Der unsichtbare Dritte und einem Teller saftig-scharfem leckeren Essen.
Aber als sie nach Hause kam, wanderte sie unruhig in ihrer Wohnung auf und ab und griff schließlich zu den Notizen, die sie sich an der Grabstätte der Putnams gemacht hatte.
Eine Hürde stellte Edmunds fehlende Mutter dar. Ohne ihren Grabstein war es unmöglich, einen Familienstammbaum zu erstellen. Sweeney trug ihren Laptop ins Wohnzimmer und fuhr ihn hoch, während sie das Chicken Korma auf einen Teller legte und das Nan-Brot in die Soße eintunkte. Dann ging sie auf eine ihrer bevorzugten Internetseiten über Stammbaumforschung und suchte nach den Putnams.
Es gab zahlreiche Hinweise zu den Putnams aus Boston, und ein Stammbaum war in seinen Grundzügen rasch erstellt.
Daraus ging hervor, dass Edmund der Sohn von Charles
und Belinda Cogswell Putnam war. Charles Putnam war im April 1863 verstorben, acht Monate vor der Geburt seines Sohnes. Belinda, Jahrgang 1840, hatte das hohe Alter von fünfundachtzig Jahren erreicht. Aber sie hatte ihren Sohn 1888 verloren, als er erst vierundzwanzig, frisch verheiratet und selbst Vater eines Sohnes gewesen war. Das war Joshua Putnam gewesen, Brads Urgroßvater.
Der Trauerschmuck könnte Belinda Putnam gehört haben, schloss Sweeney und empfand eine gewisse Genugtuung. Wenn alles zu einer Kollektion gehörte, könnte die ältere Brosche an den Tod eines Elternteils, eines Bruders oder einer Schwester von Belinda erinnern. Die aus Haar geflochtene Kette und das Medaillon mussten nach Charles’ Tod gefertigt worden sein, das dunkle Haar - es hatte fast dieselbe Farbe wie das von Brad und Jack - stammte von Charles. Und die jüngere Brosche musste nach Edmunds Tod gemacht worden sein.
Belinda Putnam - ein wohlklingender Name. Sweeney sah eine viktorianische Dame in einem schwarzen Trauerkleid vor sich, die Haare zu einem hohen Dutt auf dem Kopf getürmt, die Brosche an ihren Busen gesteckt.
Während sie aß, überflog sie die Notizen, die sie sich auf dem Friedhof gemacht hatte. Auf einigen Grabsteinen waren die Monate und die Jahre angegeben, auf anderen konnte man nur die Jahrgänge lesen, von wann bis wann der oder die Tote gelebt hatte. Sweeney war von den unvollständigen Steinen stets enttäuscht, zum Teil weil sie Historikerin war, zum Teil weil sie fand, dass es einen Unterschied machte, ob jemand im Januar oder im Oktober gestorben war. Die Monate sollten nicht unter den Teppich gekehrt werden. Sie verglich ihre Aufzeichnungen mit den Daten des Stammbaums, um sicherzugehen, dass die Angaben im Internet stimmten.
Das Telefon klingelte. »Hallo«, meldete Toby sich. Im Hintergrund hörte sie Musik und Stimmengewirr.
»Rufst du von deinem Handy aus an?«
»Ja, Lily und ich sind in dieser Bar auf der Massachusetts Avenue, die du so hasst.«
»Lily und du?«
»Mmh«, brummte er verlegen.
»Dann nehme ich an, dass meine Wenigkeit gestern nicht vermisst wurde?«
»Ich erzähl’s dir später«, murmelte er. »Ich wollte nur hören, ob es dir gut geht. Du bist so plötzlich aufgebrochen.«
»Ich weiß, es tut mir leid. Es geht mir gut, obwohl ich heute zu Brads Gedenkgottesdienst gegangen bin. Es war ziemlich furchtbar. Aber jetzt habe ich was vom Inder und Hitchcock.«
»Aha, das ist auf jeden Fall besser als Vicodan. Also ist alles in Ordnung? Wo hast du denn gestern übernachtet?«
Sie zögerte. »Bei Anna.«
»Wirklich? Das ist ja großartig. War es schön, sie wiederzusehen?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube schon. Aber Cary und Eva Marie warten, also lasse ich dich in Ruhe.«
»Aber bei dir ist alles okay?«
»Ja. Viel Spaß.«
Sie legte auf und trat ans Fenster. Die Wohnung kam ihr kühl und leer vor, und sie zog sich ein zweites Sweatshirt über,
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