Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
Meilen über der Patrouille schloss Maricara die Augen. Sie würde es schaffen - oder auch nicht. Sie konnte die Nacht
mit fein geschärfter Klarheit fühlen, die Energie der Drákon, ihre summende Wachsamkeit, die leere Stelle von Luft. Sie wollte all das nicht sehen.
Als verschwommene Gestalt schoss sie hindurch, und der Wind um sie herum teilte sich mit einem kaum wahrnehmbaren Zischen. Der gelbe Drache wechselte im letzten Augenblick die Richtung, drehte sich nach rechts - aber da war Maricara schon verschwunden. Nur wenige Zoll über den tödlichen Spitzen eines Dickichts aus Bäumen verwandelte sie sich in Rauch und verlor endlich ihren Koffer. Der krachte in die Zweige und prallte mit einem lauten Knall auf die Erde.
Sie zerfloss zu Nebel, hielt sich dicht an die Basis der Baumstämme, zwang sich dazu, schwerfällig zu nichts zu werden, nur Dampf, nur Natur, nichts Neues oder Fremdes oder Falsches …
Eine Gruppe von Drachen sammelte sich am Himmel und begann zu kreisen. Zwei von ihnen verwandelten sich in Rauch, sanken nieder und wurden dann zu Männern, keine dreißig Schritte von ihr entfernt.
Zoll für Zoll schlich sich Maricara nach oben, folgte den knotigen Spalten der Kiefer, die sie umfangen hielt, dünn wie ein Faden. Sie verbarg sich in der ersten Gabelung des Stammes, als die Männer sich anschickten, den Waldboden abzuschreiten.
Tatsächlich war ihr Koffer nicht ganz bis auf den Boden gekracht, sondern steckte zwischen zwei dicken, hohen Ästen einer ein Stück weit entfernt stehenden Eibe fest.
Ein wenig Rinde und kleine abgerissene Blätter sprenkelten die sich darunter ausbreitenden Farne.
Die Drachen-Männer waren noch nicht näher gekommen. Sie sprachen in leisem Englisch miteinander und hielten
plötzlich bei etwas inne, das Maricara nicht sehen konnte. Einer der Männer beugte sich nieder und ließ die Finger über den Boden gleiten.
Dann roch sie auch schon, was er gefunden hatte - frische Hirschlosung. Blut auf den Dornen eines Wildrosenstrauchs. Ein Hirsch war diese Nacht durch den Wald gelaufen, vielleicht sogar mehr als einer. Vielleicht sogar während ihres Sturzflugs.
Multumesc (Rumänisch für: Junge). Lauf schneller, härter.
Eine heiße Brise kam auf und versuchte, sie von der Rinde ihres Baums zu reißen. Sie klammerte sich fest, während die Blätter am Boden bebten und ein Aroma verströmten, das den Geruch des Tierkotes dick, reich und erdig überdeckte.
Die Drachen-Männer berieten sich noch eine Weile länger, wobei sie sich ständig umblickten. Aber schließlich vollzogen sie die Wandlung, sprangen in die Luft und schossen wieder zu den Sternen hoch.
Maricara wartete jedoch für den Fall, dass es sich um eine Falle handelte, aber als sie ihre Sinne öffnete, fand sie in der Nähe keine Spur mehr von ihnen. Sie schienen tatsächlich verschwunden zu sein.
Sie ließ sich zurück bis zu den Wurzeln der Kiefer gleiten, verwandelte sich, duckte sich zusammen, hob das Gesicht in die Brise und suchte nach einem Geruch jenseits von dem nach Bäumen und Humus und flüsterndem Weizen.
Sie hatte kein Glück. So wie es schien, hätte England nur aus Wäldern und heißer Luft bestehen können. Sie rieb die Handflächen über die Wangen und versuchte es wieder, kämpfte gegen die Erschöpfung an, die zurück in ihren Geist kroch. Als sie kurz vorm Aufgeben war und schon nach einem sicheren Platz suchte, wo sie sich irgendwo zwischen
den Blättern zusammenringeln konnte - da entdeckte sie es. Einen Hauch von Goldmetall mit Safran und in Wein geröstetem Rebhuhn.
Mit Sicherheit das Bouquet eines Prinzen … oder wenigstens eines Grafen.
Sie griff nach ihrem Koffer, um ihn freizubekommen und tief in eine Aushöhlung unter der Eibe zu stopfen. Der Koffer war sehr groß und passte nicht gleich hinein, aber irgendwie schaffte sie es schließlich doch. Als das erledigt war, schüttelte sie sich das Haar über die Schultern und machte sich barfuß auf den Weg.
Beinahe eine Stunde brauchte sie, um durch den Wald zu schlüpfen und das Herrenhaus in seiner ganzen, vom Mondlicht beschienenen Pracht zu finden.
Und es war wirklich imposant. Tatsächlich hatte sie noch nie zuvor etwas Ähnliches zu Gesicht bekommen, weder in Ungarn noch in Österreich oder Amsterdam. Das graubraune Gebäude mit seinen drei großen Flügeln besaß in einer einzigen Wand mehr Fenster, als ganz Zaharen Yce insgesamt aufwies. Den Hauptflügel überspannte eine riesige Glaskuppel wie ein umgekehrter Kelch
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