Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
Melodien hervorzubringen, die dem Gesang der Diamanten nahe kamen.
Mit den Ringen in der Hand fand sich Maricara vor der Lyra stehend wieder, einem kleinen Ding, weniger majestätisch als ihre Harfe, aber immer noch mit glänzenden Saiten und dem Versprechen derselben süßen, traurigen Lieder. Sie fragte sich, ob irgendeiner der Engländer tatsächlich jemals darauf spielte.
Ihre Hand glitt nach vorn. Sie berührte mit einem Finger das Holz, dann eine Saite, lang und straff, und spürte den gewundenen Ton, der sich ihr entringen wollte.
Und genau in diesem Augenblick, mit ausgestrecktem Arm und mit den Rücken zur Tür, bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war.
Nichts hatte sich sichtbar verändert. Keine neuen Schatten, kein neuer Atem. Sie vermochte nicht einmal einen Herzschlag zu hören, was sie am meisten überraschte, denn Maricara hatte noch nie jemanden getroffen, weder Mensch noch Drache, dessen Herz ihn nicht mit dem leisesten Murmeln eines Tons verriet.
Aber nein - alles, was sie spürte, war ein unfassbarer Unterschied. Eine Veränderung um sie herum, ein subtiler, stärker werdender Stoß gegen ihre nackte Haut, Vibrationen, die nicht nachließen, sondern sich ausdehnten, ihren Körper und ihr Blut und ihre Nerven umschlangen und bis hinunter ins Knochenmark vordrangen.
Tier.
Stark.
Männlich.
Sie bewegte den Kopf, mehr nicht, und sah, was sie vorher nicht bemerkt hatte: Seine Umrisse im Türrahmen, eher ein Trugbild als ein Mann, und der Herzschlag der Drákon pochte so kräftig zwischen ihnen, dass sie sich im Gleichklang wiegte.
Er glitt ein Stück weit auf sie zu. Sie blieb, wo sie war, mit angehaltenem Atem. Als er sich wieder bewegte, sah sie ihn schließlich ganz.
Die Drákon besaßen Anmut. Jeder einzelne von ihnen, vom neugeborenen Kind bis zum verwelkten alten Mann, denn das war eine ihrer Gaben. Als Drachen bewegten sie sich leicht und elegant, als Menschen verhielten sie sich fast genauso. Sie hatten Haut so weiß wie Alabaster und Farben, die das Beste in der Natur widerspiegelten, nämlich Gold und Kupfer und Eiche, Himmelblau, tiefes Mahagoni. Selbst bei ansonsten gewöhnlich aussehenden Leibeigenen konnte ein schwacher Tropfen Drachenblut erkennbar sein durch eine makellose Gesichtsfarbe, schlanke Knochen und Lippen, die in kaltem Rot lächelten.
Aber dieser Mann … dieser Mann war anders. Ihn umgab nicht ein Hauch von Welkheit.
Er hatte goldenes Haar und die helle Haut, die Maricara schon bei einigen anderen ihrer Art gesehen hatte. Aber er hatte Muskeln, wo Imre schmal gewesen war, sah groß und stabil aus, wo ihr Ehemann wie sich niemals verdichtender Dunst in der Nacht gewirkt hatte.
Auch er stand reglos da, starrte sie aus blassgrünen Augen feindselig an. Sie erkannte, dass dieses Wesen - wieder im Gegensatz zu Imre, der selten eine direkte Konfrontation
wünschte - zum Angriff bereit war. Und er würde sie angreifen, wenn er sie für eine Gefahr hielt - ohne Zögern und ohne Reue.
Sie fing jetzt auch seinen Geruch ein nach Nacht und Wein und dem Moschus von Schweiß. Und einem feinen Hauch von Safran.
Aha. Natürlich hatte der Graf sie finden müssen. Selbstverständlich.
Er stieß den Atem aus, und damit änderte sich alles. Seine Miene wurde schärfer, er sah mehr nach einem Wolf aus. Binnen eines Augenblicks wechselte er von einer Art Raubtier zum anderen.
Mit dem plötzlichen Gefühl, in einen heißen, schlammigen See zu sinken, erkannte Maricara das Ausmaß ihrer Dummheit. Sie starrten einander an, und die Hitze und die Spannung zwischen ihnen schmerzten geradezu, sein Moschus und ihre Überraschung und das Mondlicht, das feurig weiß quer über ihre Schultern brannte.
Der Blick des Grafen zuckte von oben bis unten über ihren Körper, nur einmal, aber seine Augen leuchteten wie bei einem wilden Tier, so dass es sie bis auf die Knochen versengte.
Zanes Warnung all die Jahre zuvor war vergeblich gewesen.
Zu spät. Nur ein Narr drang hier ein.
5
Es war interessant festzuhalten, dass in all den Jahren hervorragender Ausbildung und finanziell bestens ausgestatteter Reisen, während seiner in Eton, Cambridge und London
verbrachten Zeit und bei all den sorgfältig vorgenommenen Lektionen über Gesellschaft und Etikette - nach Maßstäben der Menschen wie auch der Drákon - niemals jemand Kimber gegenüber erwähnt hatte, was zu tun war, wenn man sich in seinem Musikzimmer einer nackten, unerwartet aufgetauchten Prinzessin gegenübersah.
Nackt … und
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