Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
deutlich erkennbar. Pferde zuckten direkt unter ihnen mit dem Fell und schüttelten Regentropfen ab. In Umhänge und Kapuzen eingehüllte Fußgänger eilten die Bürgersteige entlang, eilten von Vordach zu Vordach. Ein paar bedauernswerte Diener,
die Sänften trugen und versuchten, sich durch die Menge zu drängen, hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen. Keiner schaute nach oben.
Booke wich der Hauptstraße aus und schwebte über sich ausbreitende Blumengärten hinweg. Gleich unter ihnen befand sich ein einem Garten zugewandtes Gebäude - eines der Kurhäuser von Harrogate, wie Kimber erkannte, das man als Palast im orientalischen Stil errichtet hatte. Alles war blendend weiß geschrubbt, die Anlegestellen für die Boote, die reichlich vorhandenen gemeißelten Marmorverzierungen, die beeindruckende Marmorkuppel, welche das Dach krönte. Riesige Statuen umgaben die Kuppel, ob Götter oder Römer, wusste keiner zu sagen.
Aus den unteren Fenstern drang Kerzenlicht durch den Dunst, das auch die Gäste im Innern beleuchtete. Sie erkannten eine Brunnenhalle, einen schmucklosen Speisesaal. Ankleidezimmer. Die Badebecken selbst unter der zentralen Kuppel, deren hoch gelegene und von Dampf eingehüllte Fensterschlitze sich in einer Kurve um die Basis der riesigen Wölbung zogen.
Auf dem Steg, der um die Kuppel herum verlief, verwandelte sich Booke in einen Mann. Der Steg war abgeschlossen und eng, offenkundig eher als Zierde gedacht denn praktischen Zwecken dienend. Es hielten sich keine Menschen in der Nähe auf, es gab keine Lampen, sondern nur Kohlebecken, von denen allerdings keines brannte. Booke suchte hinter einer der übergroßen Statuen Schutz und beobachtete den langsam niedersinkenden Rauch: Maricara.
Kimber vollzog die Wandlung vor ihr. Er ging zu der nächsten Statue - Athene, ohne jeden Zweifel -, hob eine Hand und wartete, bis die Prinzessin herunter an seine Seite glitt. Sie verwandelte sich hinter der Göttin, ihre Finger wurden
über den seinen zu Fleisch, dann entzog sie sich ihm. Ihr Kopf erschien neben den steinernen Hüften, und sie beäugte die beiden Männer. Regen rann ihr über das Haar, durchtränkte es augenblicklich, und die geschwärzten Strähnen klebten an ihren Wangen.
»Was ist das für ein Ort?«
»Ein exzessiv übel riechendes Kurhaus. Sir Rufus glaubt, das Mädchen hier gespürt zu haben.« Kimber schaute zu dem Mann zurück. »Booke?«
»Es war unter uns, Mylord. Bei den Badebecken, vermute ich.«
Kimber schüttelte sich das Wasser aus den Augen und versuchte mühsam, sich zu konzentrieren. Dies schien ein höchst unwahrscheinlicher Ort für eine Geisel zu sein, vor allem dann, wenn es sich um ein gut erzogenes, widerspenstiges Mädchen handelte … Aber vielleicht gab es ja versteckte Räume. Einen aus natürlichen Höhlen gebildeten Keller zum Beispiel. »Sind Sie sicher?«
»Ja. Jetzt fühle ich sie nicht - davor aber schon. Ja.«
Kimber ließ seinen Geist wandern. Er suchte das Mädchen, und als das nicht nützte, suchte er Drákon und nach allem, was sie betraf. Im Vordergrund spürte er immer noch dieses schwere, reiche Eisen, das die Luft sättigte, dann die Leute unter ihnen, badend, trinkend, mit Tassen in der Hand plaudernd, kultivierte Akzente, zwitschernde Stimmen … Lieder aus tausend Edelsteinen darunter, von größeren und kleineren, leuchtend und klar; darunter lag eine gedämpftere Energie: die Arbeiter des Kurorts, die großen, schwappenden Becken, Röhren mit Thermalwasser, der felsige Grund, kleine Spalten im Gestein …
»Nein«, sagte er, wobei er ausatmete. »Ich spüre nichts. Maricara?«
Sie runzelte die Stirn. Ihr Blick wurde abwesend und glasig, während Wasser in einem dünnen Rinnsal von ihrem Kinn tropfte. Sie umfasste eine Falte der steinernen Tunika. Ihre Fingernägel wurden blass; sie drückte fest zu - zu fest. Im Stein entstanden winzige Risse.
Kimber berührte ihre Finger mit den seinen. Sie blinzelte mit vor Nässe dicken Wimpern, kam zu ihm zurück und ließ die Hand sinken.
»Ich weiß nicht«, meinte sie zögerlich. »Ich dachte, da wäre etwas …«
» Sanf ?«, fragte er sofort.
»Nein. Ein paar Töne - beinahe gespenstisch.«
»Weiter nichts?«, fragte Booke, der ebenfalls tropfnass hinter seinem Gott stand. »Wir alle hören Lieder, Mädchen.«
»Dieses Lied hörte ich zuletzt, als mir das Tuch von Honor Carlisle überreicht wurde, Graf Chasen.«
Kimber nickte und wandte sich den Scheiben eines beschlagenen Fensters zu.
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