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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Fleischhacker – den man allerdings viel zutreffender als einen Wurstpanscher bezeichnen sollte, weil er nämlich seine Würste mit altem Fett und Sägemehl streckt –, dieser sogenannte Mensch und Wurstpanscher also, hat Blut an den Händen. Außerdem hat er Scheiße im Hirn und die schwarze Gemeinheit im Herzen. Und wenn man sich so umschaut, ist er damit nicht alleine. Bis jetzt hat nur eine Sau dran glauben müssen. Oder von mir aus ein paar Hendln. Bis jetzt ist nur das Geschäft eines Trafikanten besudelt worden. Aber hier und heute frage ich euch: Was oder wer kommt als Nächstes dran?«
    Niemand sagte etwas, einige Leute grinsten, einige schüttelten den Kopf, jemand ging, andere kamen dazu und drängelten sich zwischen die Schaulustigen.
    »Einer hat Blut an den Händen, und die anderen stehen da und sagen nix. So ist es immer!«, fuhr Otto Trsnjek fort, während Roßhuber mit einem schiefen Lächeln daneben stand. »So ist es immer, so war es immer, und so wird es immer sein, denn so steht es wahrscheinlich irgendwo geschrieben, und so ist es eingeimpft in die unendlich blöden Schädel des Menschengeschlechts. Aber in meinem eben noch nicht, meine Herrschaften! Mein Schädel geht noch so, wie er selber will. Ich tanz nicht mit auf eurer Veranstaltung. Ich pflanz mir kein Hakenkreuz hinters Revers, ich pansch keine Wurst, ich treib mich nicht im Dunkeln auf dem Trottoir herum, um unschuldige Häuser mit Arschgesichtern vollzuschmieren, ich schweige nicht, und an meinen Händen klebt kein Blut, sondern allerhöchstens Druckerschwärze!«
    Plötzlich schien ihm die Kraft auszugehen. Sein Kopf sackte zwischen seine Schultern, und er starrte aufs Pflaster hinunter. Für einige Sekunden war es still vor der Trafik. Nur die Krückengriffe, um die sich Otto Trsnjeks Finger krampften, knirschten leise. Schließlich gab er sich einen Ruck. Mit einem lang gezogenen Schnaufer richtete er sich wieder auf, wandte sich dem Fleischermeister zu und spie ihm zusammen mit ein paar Spucketröpfchen die abschließenden Worte entgegen: »Und noch etwas, Roßhuber: 1917 hab ich für unser Land ein Bein in einem schlammigen Erdloch gelassen. Geblieben ist mir dieses eine hier. Es ist alt, ziemlich hüftsteif und fühlt sich manchmal ein bisserl einsam – aber für einen ordentlichen Arschtritt wird es notfalls immer noch reichen!«
    Damit ließ er den Fleischermeister mitsamt den anderen Leuten stehen und verschwand mit zwei kräftigen Krückschwüngen in seiner Trafik. Hinter ihm knallte die Tür derart heftig ins Schloss, dass die Scheiben schepperten und sich das Gebimmel der Glöckchen zu einem geradezu stürmischen Fortissimo erhob.
    In den Wochen nach diesen Ereignissen war Franz immer wieder in den Prater gefahren, um sich auf die Suche nach dem Mädchen zu machen. Stundenlang hatte er Straßen und Gassen durchstreift, war in Wirtshäusern gesessen oder vor dem Sturmboot herumgelungert, stets in der Hoffnung, das Gesicht mit den strohblonden Haaren irgendwo aufgehen zu sehen. Vergebens. Zudem war es in letzter Zeit ungemütlich geworden. Der Winter war in diesem Jahr früher als sonst hereingebrochen, mit dem kalten Nieselregen mischten sich erste Schneeflocken, und bald lagen die Fahrgeschäfte unter einer dichten Schneedecke, und eines nach dem anderen musste seinen Betrieb einstellen. Nur ein paar Buden, die Gasthäuser und das Ponykarussell trotzten der Kälte und dem Schnee. Frierend stand Franz vor dem Rondeau und beneidete die Pferde, denen mittlerweile ein wolliges Winterfell gewachsen war und die, unbelästigt von der Liebe und anderen Verirrungen, ihre Runden in den kalten Sand stapften.
    Nachts lag er oft stundenlang wach, dachte an die böhmische Zahnlücke und wälzte sich in seiner eigenen Hitze. Fiel er schließlich doch in den ersehnten Schlaf, stürzten sofort wilde Träume auf ihn ein: Schweineblut tropfte von der Decke direkt in das runde Fass, das sein Schädel war, das Bett schaukelte hoch und höher, bis in dieses sonnenhelle Juchzen hinaus, durch eine riesige, schwarze Lücke hindurch und mit einem blauen Wägelchen in die ewige Grottendunkelheit hinein. Seine Mutter erschien und strich Otto Trsnjek mit dem Handrücken übers Bein, worüber Sigmund Freud so herzhaft lachen musste, dass ihm der Hut vom Kopf flog und er seine Flügel ausbreitete und hoch über den Votivkirchenspitzen der untergehenden Sonne hinterhersegelte.
    Wenn es zu schlimm wurde, schlich Franz durch die kleine Hinterhoftür

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