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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Armen und Beinen rücklings ins Gras fallen. Über die Ringstraße brauste der Freitagnachmittagsverkehr. Motoren knatterten, Pferdehufe rappelten übers Pflaster, Fiakerkutscher schnalzten mit den Zungen und ließen ihre dünnen Peitschen durch die Luft zischen. Die Gehsteige waren bevölkert mit durcheinanderplappernden Menschen. Es war warm, die Sonne schien, ein angenehmes Lüftchen wehte. Es ging ins Wochenende, es ging voran, es ging um die Zukunft, es tat sich was in der Stadt, im Land, draußen in der Welt. Ein Diesellastwagen mit einer Gruppe von Arbeitern auf der Ladefläche rumpelte langsam vorüber. Die Männer schwenkten ihre Hüte und schrien im Chor Parolen gegen Hitler und für die österreichische Arbeiterschaft. Einer der Männer sprang vom fahrenden Wagen seiner Schiebermütze hinterher, die er hoch in die Luft geworfen hatte und die vom Wind davongetragen worden war. Er kam ungeschickt auf, stürzte und blieb regungslos auf der Seite liegen. Sofort bildete sich eine kleine Menschenmenge um ihn. Der Wagen fuhr weiter.
    Franz und der Professor ließen das Burgtheater links liegen und gingen in den Volksgarten. Auch hier blühte überall der Flieder. Die hohen Hecken und die Bäume dämpften den Straßenlärm, und von der dicht mit Gras überwucherten Erde stieg eine kühle Feuchtigkeit auf. Franz war noch nie hier gewesen. Gerne wäre er ein bisschen herumgegangen und hätte sich umgesehen, und noch viel lieber wäre er insgeheim mit dem Professor unter einen der Büsche gekrochen, um in der grünen Blätterdämmerung ungestört alles Mögliche zu besprechen. Doch Freud steuerte zielsicher auf das gegenüberliegende Ende des Parks zu, wo sie in einer Heckennische unter einer alten Kastanie eine leere Bank fanden und sich setzten. Vorsichtig griff Franz in seine Brusttasche und zog eine wunderschöne Hoyo de Monterrey heraus. Freud nahm die Zigarre entgegen, hielt sie sich vors Gesicht und betrachtete eine Weile ihre Silhouette, ehe er sie in den Mund steckte und anzündete. Während des Spaziergangs hatten sie kein Wort gesprochen, und auch jetzt saßen sie schweigend nebeneinander. Der Professor paffte kleine Rauchwolken in die Luft und knarrte mit dem Kiefer. Irgendwo weit weg brüllte jemand »Heil Hitler!«. Ein Juchzer war zu hören. Ein helles Gelächter. Dann wieder die gedämpften Geräusche des Straßenverkehrs.
    Mit einem unterdrückten Ächzen lehnte sich der Professor zurück, blinzelte eine Weile in das vom Sonnenlicht durchblitzte Blättergewirr hinauf und sagte schließlich: »Du lässt dich unsere Zusammenkünfte ja einiges kosten!«
    »Wie bitte, Herr Professor?«
    »Eine Zigarre dieser Qualität ist nicht gerade preiswert.«
    »Dafür ist sie an den fruchtbaren Ufern des Flusses San Juan y Martínez von tapferen Männern geerntet und von schönen Frauen in zarter Handarbeit gerollt worden«, sagte Franz und nickte ernst.
    »Wobei sich mir in diesem Zusammenhang nicht ganz erschließen will, warum ausgerechnet die Tapferkeit so eine herausragende Eigenschaft kubanischer Tabakbauern sein soll«, widersetzte Freud. »Doch das nur nebenbei. Wenn wir aber andererseits schon von schönen Frauen sprechen: Ich hoffe, dass deine Bemühungen, das weibliche Geschlecht betreffend, zum Erfolg geführt haben. Wie auch immer dieser Erfolg ausgefallen sein mag.«
    »Genau deswegen wollte ich mit Ihnen sprechen«, sagte Franz bitter. »Meine Bemühungen haben nämlich zu überhaupt nichts geführt. Obwohl ich mir da wiederum gar nicht so sicher bin. Ich weiß es einfach nicht. Im Grunde genommen weiß ich überhaupt nichts!«
    »Immerhin ist diese Erkenntnis der erste Schritt im steilen Stiegenhaus zur Weisheit«, erwiderte Freud. »Aber lass uns erst einmal versuchen, ein bisschen Licht in die Verdunkelungen zu bringen: Hast du sie gesucht?«
    »Ja, Herr Professor.«
    »Hast du sie gefunden?«
    »Ja, Herr Professor!«
    »Hast du sie gefragt, wie sie heißt?«
    »Ja, Herr Professor!«
    »Soll ich dir vielleicht jedes Wort einzeln aus der Großhirnrinde pressen?«
    »Nein, Herr Professor. Sie heißt Anezka!«
    »Böhmin?«
    »Ja. Aus einem an den Hügel Viničný wie an einen dunklen Liebhaber geschmiegten, wunderschönen Dorf namens Dobrovice im Landkreis Mladá Boleslav.«
    »Ein Hügel wie ein dunkler Liebhaber?«
    Franz nickte traurig. Freud kramte ein Streichholz aus seiner Schachtel, entzündete es und hielt es behutsam an die Glutfläche, die etwas unregelmäßig zu geraten drohte.
    »Die

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