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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Manchmal verzog sich einer ins Schilf, um gebückt zwischen den hohen Halmen ins Wasser zu reihern, in dem sich alsbald die silbrigen Saiblinge um die Bröckchen stritten.
    »Nein, ich glaube noch nicht, Herr Professor.«
    Der Alte schob seinen Kiefer zu einem schiefen Lächeln zurecht. »Dann wird es Zeit, mein junger Freund!«
    Auf ein Nicken des Professors ging Franz zögernd zur Vitrine hinüber und holte einen von einem kopflosen Terrakottareiter und einem kleinen, aber ziemlich aufrechten Marmorphallus flankierten Aschenbecher aus schwerem Bleikristall heraus. »Ich weiß nicht so recht, Herr Professor, ich hab das noch nie versucht.«
    »Im Versuch erschaffen sich die Welten neu«, meinte Freud fröhlich. »Außerdem möchte ich zum Abschied nicht alleine rauchen.«
    »Setz dich!«, fügte er nach einem weiteren rasselnden Atemzug hinzu und tätschelte mit seiner linken Hand die Polsterung neben sich.
    »Auf die Couch?«
    »Auf die Couch!«
    Franz setzte sich vorsichtig. Die Couch fühlte sich überraschend hart an. Hart wie die Stunden, die von den Patienten darauf verbracht wurden, dachte er, und trotzdem aber nicht ganz ungemütlich. Wenn der Professor neben ihm eine Bewegung machte, spürte er sie sofort. Es war ein bisschen, als ob sie nun auch körperlich miteinander verbunden wären.
    Die ersten Züge rauchten sie schweigend. An der Decke hatte sich der Weberknecht wieder zu bewegen begonnen, tastete sich ein paar Schritte aus seiner Ecke heraus, lief jedoch gleich wieder zurück und schien endgültig zu erstarren.
    Franz hatte beim ersten Zug einen heftigen Hustenreiz unterdrücken müssen, beim zweiten einen Brechreiz und jetzt, beim dritten, wurde ihm kurz schwindelig, und er hatte das Gefühl, langsam nach vorne aufs Parkett zu kippen. Irgendwie schaffte er es aber doch, sich eine gewisse innere Aufrichtung zurechtzubalancieren, und von da an ging es besser. Und schon nach dem ungefähr siebten oder achten Zug spürte er neben dem leichten Lähmungsgefühl in der Zunge ein sich tief in seinem Inneren ausbreitendes, ofenwarmes Wohlbefinden.
    »Ich habe natürlich gehört, was Herrn Trsnjek widerfahren ist«, sagte der Professor und räusperte sich in seine kleine Faust hinein. »Es tut mir sehr leid.«
    »Ja«, sagte Franz nach einer Weile. »Jetzt bin ich der Trafikant.«
    Ein gelbliches Dämmerlicht breitete sich im Zimmer aus. Draußen rauschte die Kastanie, und in dem Stückchen Himmel über dem Hof zogen dunkelgraue Wolken auf. Freud zog sich einen Deckenzipfel über den Schoß. »Und nun wird es auch noch kalt!«, sagte er mürrisch und rieb seine Füße aneinander.
    »Sie sollten sich etwas Warmes anziehen, Herr Professor. Eine Wollweste vielleicht. Oder einen Janker. Oder Sie könnten diesen Kachelofen einheizen. Und überhaupt würde es insgesamt nicht schaden, ein bisschen mehr auf die Gesundheit zu achten. In Ihrem Alter meine ich!«
    Der Professor winkte schwach ab: »Mein Alter hat jede Gesundheit längst hinter sich gelassen.«
    »Ich erlaube Ihnen nicht, so etwas zu sagen, Herr Professor!«, sagte Franz und erhob streng seinen Zeigefinger.
    »Kindern und Greisen sollte man noch viel mehr erlauben. Aber lass uns von ganz anderen Beschwerden sprechen: Wie geht es deiner böhmischen Dulcinea?«
    »Sie heißt nicht Dulcinea, sondern Anezka, und es ist vorbei. Oder besser gesagt: Es hat nie angefangen. Vielleicht war das Ganze sowieso nur ein riesengroßer Irrtum.«
    »Die Liebe ist immer ein Irrtum.«
    »Sie ist jetzt mit einem Nazi zusammen. Ein Offizier. Oder General. Oder was weiß ich was. Jedenfalls einer von der SS, ganz in Schwarz und mit silbrigen Totenschädeln am Gürtel …«
    Franz stockte. Plötzlich spürte er den Blick des alten Mannes auf sich. Sie sahen sich einen Augenblick schweigend an. Seine Augen, dachte er, diese seltsamen, braunen, hellen, glänzenden Augen sehen aus, als ob sie nicht mitaltern würden mit dem Rest des Körpers. Freud öffnete den Mund und ließ ein wenig Rauch zwischen den Zähnen entweichen, der an den Nasenflügeln vorbei, unter den Brillengläsern hindurch und über die Stirn langsam nach oben kroch.
    »Als ich damals in Timelkam in den Zug gestiegen bin, hat mir das Herz wehgetan«, fuhr Franz fort, »und als mir die Anezka zum ersten Mal davongerannt ist, da hätten zehn Doktoren nicht ausgereicht, den Schmerz wegzubehandeln. Aber immerhin hab ich ungefähr gewusst, wohin ich gehe und was ich will. Jetzt ist der Schmerz fast weg, aber ich

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