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Der Trafikant / ebook (German Edition)

Der Trafikant / ebook (German Edition)

Titel: Der Trafikant / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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Nacht durch den Schädel geweht ist. Und wenn sie schon einmal stehen geblieben sind, kommen sie manchmal auch herein und kaufen etwas.«
    »Genau so ist das, Herr Professor!«, fuhr er nach einer Pause fort und musste wieder kichern. Eine warme Welle von Wohligkeit durchströmte seinen Körper. Gleichzeitig war ihm ein bisschen schwindlig. Aber angenehm schwindlig, so als ob er nicht auf einer alten Couch, sondern auf dem noch viel älteren, morschen, schon halb im See versunkenen Südufersteg säße, der immer so schön schwankte über den anrollenden Dampferwellen. Vielleicht lag es ja an seiner an den sonnigen Ufern des Flusses San Juan y Martínez geernteten und von zarten Frauenhänden gerollten Hoyo, dachte er und betrachtete eine Weile deren zarte Blätterhaut. Oder an der fast unwirklichen Nähe des Professors. Vielleicht lag es aber auch an irgendetwas ganz anderem, dachte er weiter, wobei es eigentlich völlig egal war, woher jetzt auf einmal diese warme Wohligkeit gekommen war: wohlig ist wohlig und aus. Mehr gab es darüber nicht nachzudenken. Gegen die Fensterscheiben patschten jetzt einzelne große Regentropfen, die vom Wind in glitzernden Schlieren nach allen Richtungen auseinandergetrieben wurden. In den Fenstern der gegenüberliegenden Hofseite gingen vereinzelt Lichter an.
    »Sie werden es nicht wissen, Herr Professor«, sagte Franz und drehte langsam seine Zigarre zwischen den Fingern, »aber der Otto Trsnjek war gar kein Raucher. Der Otto Trnsjek war ein Zeitungsleser. Zeitungsleser und Trafikant. Wobei das für ihn ja quasi dasselbe war. Eigentlich komisch: Da sitzt einer jahrzehntelang in seiner Trafik und will nicht rauchen. Sitzt da, weiß praktisch alles über Zigarren, kennt ihre Herkunft und Qualitäten und Merkmale bis ins kleinste Detail und kann über ihr Innenleben erzählen wie ein Doktor über das Innere von einer Leich’ – hat aber nicht einmal das kleinste Futzelchen von einer Idee, wie sie eigentlich schmecken.«
    »Das ist doch wirklich komisch«, wiederholte er noch einmal nachdenklich, nachdem er ein langes Stück Asche in den zwischen seinem und des Professors Oberschenkel platzierten Bleikristallbecher tippte. »Natürlich verstehe ich vom Rauchen auch noch nicht viel. Aber wenn Sie zurückkommen, bin ich schon weiter damit, das verspreche ich Ihnen. Und Sie kommen ja zurück. In jedem Fall und ganz bestimmt kommen Sie zurück. Weil Heimat ist Heimat, und Zuhause ist Zuhause. Und irgendwann wird sich der Hitler wieder beruhigt haben. Und alle anderen auch. Und alles wird wieder so sein wie früher. Oder was meinen Sie, Herr Professor?«
    Freud machte ein murrendes Geräusch, und Franz ließ sich noch ein bisschen tiefer in die Polster sinken.
    »In England soll es mehr regnen als im Salzkammergut. Also praktisch andauernd. So etwas kann ja nicht gesund sein für so einen etwas angereiften Herrn, wenn Sie mir den Ausdruck nachsehen wollen. Jedenfalls müssen Sie irgendwann einmal meine Mutter kennenlernen. Ich glaube nämlich, dass Sie beide sich gut vertragen würden. Die Mama versteht nämlich auch jede Menge von den Leuten und ihren Blödsinnigkeiten, da hätten sie genug zu reden miteinander. Außerdem kann sie Erdäpfelstrudel backen. Und zwar die einzig echten und richtigen: in der Eisenpfanne und im Butterschmalz gebacken, mit oder ohne Grammeln, mit oder ohne Linsen, ganz wie es Ihnen gustiert …«
    Franz verstummte. Es kam ihm vor, als hätte er noch nie in seinem Leben so viel geredet. Und vielleicht war das ja auch so. Früher war ihm das Nichtreden immer als äußerst erstrebenswert erschienen, was sollte man sich schon großartig erzählen in der Umgebung von Bäumen, Schilfhalmen oder Algen? Und die Mutter hatte sowieso nie gerne unnötige Worte gemacht. Die meisten Abende hatten sie schweigend zusammen in der Hütte gesessen, und das war auch schön so. Die Mutter. Wo war sie jetzt? Was machte sie? Ob sie gerade an ihn dachte? An ihren kleinen Franzl, der eigentlich gar nicht mehr so klein war? Franz blinzelte. Draußen prasselte der Regen gegen die Scheiben. Die Polster in seinem Rücken waren weicher als alles, was er bisher gespürt hatte. Mit Ausnahme der mütterlichen Arme. Und Anezkas Bauch. Und ihrer Kniekehlen. Und ihrer Schulterblatthügel. Und ihrer ganzen anderen Körperteile. In seinem Magen gluckerte es leise. Der Kachelofen in der Ecke antwortete mit einem leisen Knacken. An der Wand schwebte ein Schatten entlang. Auch in der Vitrine bewegte

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