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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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paar Minuten.«
    Mit zwei hastigen Schritten war sie bei der alten Frau und bugsierte den Rollstuhl am Tisch mit dem Tablett vorbei. Dabei stieß sie gegen einen Stuhl und drückte ihn einfach mit dem Fußteil des Rollstuhls ein Stück zurück. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, kam Bewegung in Rosie. »Los!« Sie machte eine Handbewegung, die Sibylle dazu auffordern sollte, sich zu beeilen. »Gehen wir.«
    »Aber warum denn?«
    »Weil diese Pflegerin definitiv glaubt, dass du den Verstand verloren hast!«
    »Ich … –«
    »Mensch, Sibylle!«, wurde sie von Rosie barsch unterbrochen, »ich weiß ja nicht, was plötzlich mit dir los ist, aber ich weiß ganz sicher, dass wir jetzt hier verschwinden sollten, denn diese Altenpflegerin wird mit ziemlicher Sicherheit gerade ein Telefonat mit der Polizei führen.« Sie zeigte auf die Fotografie, die Sibylle noch immer in der Hand hielt. »Denn das, mein Kind, bist ganz bestimmt nicht du.«
    Sibylle verstand nicht, was plötzlich mit Rosie los war. »Aber was redest du da? Natürlich bin … –«
    Weiter kam sie nicht. Sie hatte die Fotografie ein Stück angehoben und starrte nun darauf. Dort, wo sie eben noch eindeutig sich selbst erkannt hatte, lächelte ihr nun das glückliche Gesicht der Frau entgegen, die sie auch zu Hause schon auf dem Foto in ihrem Schlafzimmer gesehen hatte.
    Nicht ich …
    Zum zweiten Mal an diesem Tag fiel ihr eine gerahmte Fotografie aus der Hand, aber anders als zuvor zersprang das Glas dieses Mal mit einem lauten Geräusch, als der Rahmen auf dem Boden aufschlug.
    »Aber … eben war ich auf dem Foto. Ganz bestimmt. Und jetzt … Wie ist das möglich?«
    Ohne weitere Worte packte Rosie sie am Arm und zog sie hinter sich her aus dem Zimmer.
     
    Als Rosie sich seufzend auf den Fahrersitz fallen ließ und die Tür zuzog, sahen sie sich an, und Sibylle glaubte in diesem Gesicht, das ihr nach der kurzen Zeit, die sie sich erst kannten, schon geradezu verblüffend vertraut erschien, ehrliche Sorge zu erkennen.
    »Bin ich verrückt?«, fragte sie zaghaft, und als Rosie den Motor startete und den Wagen aus der Parklücke steuerte statt eine Antwort zu geben, fügte sie hinzu: »Ich war mir eben absolut sicher, dass ich mich selbst auf dem Bild gesehen habe, und jetzt kann ich mich noch nicht mal mehr an den Moment erinnern. Du hast das Bild doch zuerst gesehen …«
    Rosie bog in die Hauptstraße ein und sagte: »Nun mach dir mal keine Sorgen. Das wird schon wieder. Du hast dir wahrscheinlich so sehr gewünscht, dass du auf diesem Foto zu sehen bist.«
    »Als du das Bild entdeckt hast, da war also auch schon …«
    Rosie lenkte den Wagen an den rechten Straßenrand, wo sie ihn zum Stehen brachte. Sie nahm die Hände vom Lenkrad, runzelte die Stirn und sah ihr tief in die Augen.
    »Also, wenn du mir jetzt erzählst, du hältst es ernsthaft für möglich, dass zuerst du auf dem Foto zu sehen warst und anschließend – schwuppdiwupp – diese andere Frau darauf erschienen ist, dann fahren wir sofort in die nächste Psychiatrie.«
    Sibylle schluckte. Rosie nahm ihre Hände und hielt sie mit sanftem Druck fest. »So, und jetzt sag mir, wo ich dich hinbringen soll: zu mir nach Hause oder in die Klapsmühle?«
    Die Tränen in Sibylles Augen schwappten über, und für einen Moment wunderte sie sich darüber, dass sie überhaupt noch Tränenflüssigkeit hatte. »Nein, schon gut, Rosie. Mir ist schon klar, dass das unmöglich ist. Es war … es war nur so real. Ich hätte schwören können, dass … –«
    »Papperlapapp«, machte Rosie, ließ ihre Hände los und fuhr wieder an. »Deine Augen haben dir einen kleinen Streich gespielt. Ich möchte jetzt nichts mehr davon hören. Wir werden nach Hause fahren, und du schläfst einfach mal zwei Stunden. Danach entwerfen wir einen Schlachtplan.«
    Sibylle entgegnete nichts darauf.
Es war so real.

11
    Sibylle entdeckte ihn, bevor Rosie in die schmale Einfahrt ihres Hauses einbog. Er saß mit angezogenen Beinen, die Unterarme lässig auf den Knien liegend, neben einem weiß blühenden Busch auf der kleinen Wiese, die durch eine hohe Hecke von Rosies Grundstück abgegrenzt wurde.
Fremder Mann.
    Sibylle starrte ihn durch das Seitenfenster an, und er legte einen Zeigefinger vor die geschlossenen Lippen und schüttelte den Kopf. Dabei lag etwas in seinem Blick, das Sibylle tatsächlich davon abhielt, Rosie auf ihn aufmerksam zu machen. Das Herz schlug ihr mit einem Mal wieder bis zum

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