Der Trakt
Hand, die die Waffe hielt, bewegte sich nicht.
»Das … – mein Gott, weil er … er hat Dinge gesehen, die er nicht sehen sollte.«
»Was hat er gesehen?«
Er wand sich. »Dinge, die … na, die mit der Forschung … des Doktors zu tun haben.«
»Des Doktors? Welcher Doktor?«
»Der Doktor, das … das ist mein Vater.«
Sibylle bewegte die Pistole noch ein Stück näher auf sein Gesicht zu. Die Spitze des Laufs war jetzt nur noch wenige Zentimeter von seiner Stirn entfernt.
»Was hat Lukas mit den Machenschaften deines Vaters zu tun? Hm? Jetzt rede endlich!«
Robert atmete zwei-, dreimal schnell hintereinander schnaufend ein und aus, dann schrie er Sibylle an: »Du hast dort gearbeitet, du blöde Kuh!«
Sie starrte ihn an und versuchte zu verstehen, was sie gerade gehört hatte.
Bei CerebMed gearbeitet? Ich?
»Was soll der Quatsch?«, sagte sie und drückte ihm den Lauf gegen die Stirn.
Ich in München? Ich war seit einer Ewigkeit nicht mehr in München.
»Sag mir jetzt die Wahrheit, du Scheißkerl. Ich will zu meinem Sohn, und ich schwöre dir, ich bringe dich auf der Stelle um, wenn du mich anlügst.«
»Verdammte Scheiße, du hast bis vor einer Woche bei uns gearbeitet, und dein Sohn hat in der Firma was gesehen, das er nicht hätte sehen dürfen. Ende. Und jetzt erschieß mich von mir aus. Wenn ich dir auch nur ein Wort mehr sage, bringt der Doktor mich sowieso um.«
Sibylle ließ die Pistole sinken und richtete sich auf.
»Sagtest du gerade, bis vor einer Woche, du Dreckskerl?«, fragte Rosie.
Robert antwortete nicht darauf. Er drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen.
»Vor einer Woche«, wiederholte Sibylle und ließ sich auf das Bett sinken. »Die haben Lukas erst vor einer Woche entführt? Und mich auch.«
»Ja, aber … Ich dachte, vor zwei Monaten bist du überfallen worden?«
Johannes, Elke, Regensburg
… Wie Blitzlichter tauchten die Worte vor ihr auf.
Sibylle nickte. »Dachte ich auch, Rosie. Darum können wir uns später kümmern. Jetzt muss ich zu Lukas.«
»Sollen wir die Polizei rufen?«
»Ja, tut das, dann ist der Junge tot«, sagte Robert. »Sobald der erste Polizist bei CerebMed auftaucht, weiß Hans, was er zu tun hat.«
Wenn Lukas wirklich etwas gesehen hat, wofür es sich lohnte, ihn zu entführen, dann ist das wahrscheinlich keine leere Drohung. Denk nach, dir muss irgendwas einfallen, verdammt!
»Warum machen wir keinen Gefangenenaustausch?«, fragte Rosie, und als Sibylle sie daraufhin verständnislos ansah, deutete sie auf Robert. »Die haben deinen Sohn, wir haben den Sohn vom Chef. Tauschen wir sie aus.«
Robert stieß ein irres Lachen aus. »Wenn ihr glaubt, der würde mich eintauschen … – Ihr habt ja keine Ahnung, um was es hier geht! Ruft ruhig an und macht ihm den Vorschlag. Fünf Minuten später beschäftigt Hans sich mit deinem Sohn.«
Rosie sah Sibylle fragend an. »Was denkst du?«
»Ich denke, dass mich dieser Mistkerl schon so oft angelogen hat, dass ich ihm nichts mehr glauben sollte. Aber was er sagt, klingt logisch.«
»Hm.«
Sibylle erhob sich vom Bettrand und sah wieder auf Robert herab. »Ich mache dir einen Vorschlag: Du hilfst uns, meinen Sohn zu befreien, und wir lassen dich laufen. Dann kannst du deinem komischen Doktor-Vater erzählen, was immer du willst.«
»Und wenn nicht?«
Sibylle kniete sich neben ihn und ging mit ihrem Gesicht ganz nah an ihn heran. »Ihr habt mein Leben sowieso schon zerstört. Wenn jetzt meinem Kind noch was zustößt, werde ich dich töten, das schwöre ich bei Gott. Und ich werde dich nicht erschießen, sondern dich langsam und elendig verrecken lassen. Also?«
41
Robert sagte während der ganzen Fahrt nichts, er reagierte nicht einmal mehr auf Rosies Beleidigungen.
Sie hatten ihn mit vorgehaltener Pistole ins Badezimmer gehen lassen, damit er sich das Gesicht abwischen konnte. Der Rand seines Shirts hatte zwar ein bisschen Blut aufgesogen, das nicht mehr ganz herauszubekommen war, aber das würde niemand merken. Auffälliger war die dick geschwollene Oberlippe, die deutlich hervorstand.
Der Verkehr hatte nachgelassen, sie brauchten nur etwas mehr als 20 Minuten, bis sie das Gelände von CerebMed erreicht hatten. Sie fuhren über den Parkplatz und dann seitlich am Gebäude vorbei. Dort war niemand zu sehen.
»Na, dann wollen wir mal«, sagte Rosie. Robert verzog das Gesicht, drückte ruckartig den Bauch heraus und zog die Schultern zurück. Offenbar hatte Rosie ihm die Pistole
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