Der Trakt
unsanft in den Rücken gerammt.
Wenn der Schlüssel noch immer von innen steckt, haben wir ein Problem,
dachte Sibylle, als sie auf die Tür zugingen.
Sie hielten an, und Robert fingerte den Schlüssel aus der Hosentasche. Die Tür ließ sich öffnen.
Sie betraten einen langen, schmalen Raum, an dessen Wänden links und rechts Regale standen, vollgestopft mit Kisten, auf denen weiße Aufkleber angebracht waren.
»Wo müssen wir hin?«, fragte Sibylle.
Robert deutete geradeaus. »Da vorne geht es links ab«, sagte er. Sie betrachtete ihn genau und versuchte, in seinem Gesicht Anzeichen dafür zu finden, was sie erwarten könnte, aber es gelang ihr nicht.
Sie kamen noch in den nächsten Gang und von dort bis zu einer Tür, an der Robert einen Code auf dem Ziffernfeld daneben eingeben musste. Dann war Schluss.
Als Robert die Tür aufzog, stand zwei Meter dahinter der Kerl mit den toten Augen in einem weiß gekachelten Raum und sah ihnen entgegen.
Damit hatten sie rechnen müssen.
Rosie hob sofort die Waffe und hielt sie an Roberts Kopf.
»Mach keinen Quatsch«, sagte sie zu Hans, der sich noch keinen Millimeter bewegt hatte.
Er starrte Sibylle unentwegt an. Beim Anblick seiner Augen stellten sich die Härchen an ihren Armen aufrecht. Sie dachte an Lukas und an die schreckliche Angst, die ihr Junge vor diesem Kerl haben musste.
»Ich will sofort zu meinem Sohn«, sagte sie. »Wo ist er?«
»Er ist in der Nähe«, antwortete Hans und wandte seinen Blick endlich von ihr ab. Er betrachtete Rosie und die Pistole und sagte: »Steck die Waffe weg.«
Rosie stieß ein Lachen aus. »Den Teufel werd ich tun! Los, führ uns zu dem Jungen, sonst muss ich den Sohn deines Chefs erschießen. Ich weiß nicht, ob das dem Herrn Gehirnprofessor gefallen würde.«
»Ihr werdet den Doktor bald kennenlernen«, entgegnete Hans und zeigte sich noch immer unbeeindruckt. »Kommt.« Damit drehte er sich um und ging los. Sie folgten ihm, erst Sibylle, dann Robert und hinter ihm Rosie.
»Waffe fallen lassen!«, hörte Sibylle in diesem Moment eine Stimme hinter sich und wirbelte herum. Hinter Rosie stand ein Mann im weißen Kittel und hielt ihr eine Pistole an den Kopf. Er war ein Stück größer als Rosie, vielleicht 50 und hager. Er trug eine goldgeränderte Brille und sah mit seinen akkurat in der Mitte gescheitelten, blonden Haaren ziemlich dämlich aus.
»Lass du die Waffe fallen, sonst muss ich den Juniorchef erschießen«, erwiderte Rosie mit bemerkenswert fester Stimme.
Sibylle hielt den Atem an. Sie wurde von einer Bewegung abgelenkt, die sie aus den Augenwinkeln wahrnahm. Hinter Hans war ein Schatten aufgetaucht, und eine Stimme, die Sibylle mitten ins Herz traf, rief: »Mami, Mami!«
Lukas!
Nur ein paar Meter von ihr entfernt, gleich hinter dem Kerl mit den toten Augen, sah sie den blonden Haarschopf ihres Sohnes. Tränen schossen ihr in die Augen,
Lukas!, Lukas!,
ganze Gefühlswelten explodierten, sie wollte laut schreien und zärtlich flüstern, von Herzen lachen und hysterisch weinen, sie wollte auf ihn zu rennen – und stockte in der Bewegung, als ihr Verstand das ganze Bild erfasste.
Hinter Lukas stand der Mann mit den silbergrauen Haaren, den sie von den Fotos als Professor Gerhard Haas kannte. Er hatte eine Hand auf der Schulter ihres Jungen liegen. Die andere hing lässig herab. Sie hielt einen kleinen Revolver.
»Mami!«, rief Lukas in diesem Moment wieder und wand sich im Griff des Professors. »Lass mich los, ich möchte zu meiner Mami!«
Haas sah herüber zu Robert, Rosie und dem Kerl, der ihr noch immer die Pistole an den Kopf hielt. Sein Gesicht zeigte keine Regung. »Lassen Sie Robert los.«
Demonstrativ hob er die Hand mit der Waffe ein Stück an und sah auf Lukas herab.
Rosie zögerte. Es war offensichtlich, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte.
»Lass ihn bitte«, sagte Sibylle, die diesen Leuten alles zutraute. Sie wusste nicht, wie es weitergehen würde, aber im Moment überwog die Angst um ihren Sohn.
»Sicher?«, fragte Rosie. Sibylle nickte, und sie ließ die Waffe sinken.
Mit einem großen Schritt befreite sich Robert von ihr und ging ohne Zögern mit ausgestreckter Hand auf Hans zu. »Gib mir dein Messer«, sagte er aufgeregt. »Ich werde dieser roten Hexe persönlich die Kehle durchschneiden. Los!«
Statt der Aufforderung nachzukommen sah Hans zu dem Professor herüber, der den Kopf schüttelte. Robert stieß einen unverständlichen Fluch aus und ließ die Schultern
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