Der transparente Mann (German Edition)
Bände.
»Es ist mir einfach peinlich, ihn danach zu fragen«, versuchte Joe es erneut.
»Ich weiß aber nichts.«
»Irgendetwas muss er doch dazu gesagt haben.«
»Joe! Kannst du dir vorstellen, dass uns das nicht so brennend interessiert hat?« Er ließ sich nicht mehr aufhalten und trug die Teller ins Wohnzimmer.
Joe blieb nichts anderes übrig, als ihm mit Besteck und Gläsern zu folgen, nahm sich aber vor, nur schnell ihre Pizza zu essen, mit ihnen anzustoßen und sich dann in ihr Zimmer und an den Computer zu verdrücken. Erfahren würde sie heute sowieso nichts mehr, und es war auch nicht der Abend, um einen Fremden mit Fragen zu löchern oder einem frisch verliebten Paar von der Webpage zu erzählen, die sie noch heute Nacht ins Netz stellen wollte, obwohl sie es sehr bedauerte, sich nicht mit Alf darüber auseinander setzen zu können.
Nach einer Stunde war das letzte Stück Pizza verputzt. Entgegen ihren Vorsätzen ließ Joe sich überreden, sitzen zu bleiben und einen Marillenbrand zu trinken. Alf hatte den Schnaps als Dankeschön für leuchtende Kinderaugen von einem Arzt im Krankenhaus geschenkt bekommen. Außerdem war Thomas ein amüsanter Gesprächspartner. Er erzählte so blumig und ausschweifend, wie es zu seinem Geschäft mit den vielen liebevollen Details passte. Bestimmt hätte er sich gut mit Marc verstanden. Sie beide liebäugelten mit der buddhistischen Philosophie und hätten sich leidenschaftlich über Esoterik austauschen können. Marc hockte sicher gerade allein in seiner Wohnung, hörte Buddha Bar und dachte übers Leben oder seinen nächsten Trip nach Asien nach. Vielleicht hätte er sich über Gesellschaft gefreut. Sie nahm sich vor, ihn in Zukunft häufiger zu treffen, da sie beide allein waren. Joe genoss das entspannte Zusammensein, während Alf von der kommerziellen Verrohung der Gesellschaft sprach, die er als Clown so gut von außen beobachten konnte. Thomas gab ihm Recht und erzählte daraufhin vom Brauch buddhistischer Mönche, zum Geburtstag Leben zu schenken.
»Leben?«, fragte Joe verwirrt.
»Leben«, stimmte Thomas ernst zu. »Die Mönche retten ein Tier vor dem Tod, lassen Vögel aus Käfigen frei oder schenken einem Fisch die Freiheit.«
Auf der Stelle verliebte sich Joe in diese wunderbare Sitte. Sie befand, sie solle nicht nur von Mönchen, sondern von allen Menschen praktiziert werden, die sich lieb hatten und etwas Besonderes mit Sinn und Tiefe schenken wollten.
Dann erzählte Thomas, dass er kürzlich diesen Brauch in schön gewählten Worten auf schlichtes Papier hatte drucken lassen, um den Menschen, die in seinem Laden kauften, eine sehr besondere Inspiration zu übermitteln.
»Und wie reagieren deine Kunden darauf?«, wollte Joe interessiert wissen.
Spontan lachte Thomas auf.
»Komm, erzähl schon!« Alf war in diesem Fall ebenso neugierig wie eine Frau.
Thomas sah Joe kurz, aber eigentümlich aus den Augenwinkeln an, bevor er auf Alfs erneute Nachfrage zögerlich meinte: »Ich habe nur über einen Kommentar eines Kunden gelacht. Ist nicht weiter wichtig.«
»Was hatte der denn gesagt?«
»Na ja«, meinte er und lächelte leicht verlegen, während er sich durchs Haar strich, »er hat gemeint, dass er in Zukunft zur ›Nordsee‹ fährt und nicht mehr zu ›Tiffany's‹ geht.«
Alle bis auf Joe lachten. Sie spürte, wie ihr die Gänsehaut den Nacken hochkroch. In Thomas' Gesicht las Joe die Bestätigung ihrer spontanen Vermutung. Er schaute schnell zur Seite, als er Joes fragenden Blick bemerkte. Alles klar, dachte Joe, dieser Spruch konnte nur von Konstantin stammen. Denn egal, was er tat, es war eine Scharade der Gefühle, und jedes Mittel war ihm recht, um einen berauschenden Garten der Lügen zu erschaffen, von dem sich jede Frau betören und verzaubern ließ.
Joe verspürte das dringende Bedürfnis, sich sofort mit ihrem Computer und der Webpage zu beschäftigen. Erst wenn die Seite fertig und öffentlich zugänglich wäre, würde es ihr viel, viel besser gehen. Sie stand auf, nahm Thomas' Story als Fingerzeig des Himmels, verabschiedete sich und wünschte den beiden einen schönen Abend. Dann ging sie in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie holte tief Luft und setzte sich aufs Bett, um die Situation zu durchdenken. Das eigentlich Positive an den schockierenden Offenbarungen war ihre heilende Wirkung auf ihre Seele. Aber trotz allem, was bislang passiert war und was sie über Konstantin erfahren hatte, hatte sie es dennoch nicht
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