Der transparente Mann (German Edition)
geschaffen.«
»Es gibt verschiedene Wahrheiten«, vernahm sie plötzlich Marcs Stimme aus dem Nirwana.
»Willst du damit sagen, ich habe Konstantin unrecht getan?« Aufgebracht blitzte sie Marc an, der aber die Augen weiterhin geschlossen hielt und deshalb davon unbeeindruckt blieb.
»Wahrheit, Recht, Unrecht – das sind philosophische Begriffe«, griff Alf bereitwillig das Thema auf.
Warum redete sie überhaupt mit Männern über dieses Thema? Joe kam sich vor wie ein Idiot. Sie hätte es besser wissen müssen. Sie war überzeugt, dass jede Frau ihr sofort zur Webpage gratuliert hätte. So schwieg sie verschnupft und blickte mürrisch vor sich hin, da sie sich unverstanden fühlte.
Zwei Hunde rannten um die Wette. Der große war ein zottiges Ungeheuer, der andere zierlicher, mit rehbraunem Fell, das in der Sonne glänzte und dafür sprach, dass die Besitzerin, die mit Argusaugen das Spiel ihres Lieblings beobachtete, ihn täglich bürstete. Die Hunde blieben wieder stehen, beschnüffelten einander, tobten weiter, da sie sich zu mögen schienen, was die Besitzerin des rehbraunen Vierbeiners sichtlich entspannte. Als sie das freundliche Rotieren der zwei Hundeschwänze sah, widmete sie sich ganz ihrem Gesprächspartner. Sein breites Lächeln konnte Joe selbst aus der Entfernung erkennen. Sie lachten, flirteten und gingen schließlich gemeinsam mit ihren Hunden weiter.
Manche Menschen schaffen sich Hunde an, um unverfänglich mit anderen in Kontakt treten zu können, überlegte Joe. Erst kürzlich hatte sie in der Zeitung gelesen, dass die Hälfte aller Münchner allein leben. So waren Hunde eine Möglichkeit, einen Partner zu finden, Kneipen, Partys und das Internet andere. Dort konnte man anonym chatten oder ganz offen nach einer Liebe suchen. Das war nichts Neues mehr, sondern mittlerweile so gesellschaftlich akzeptiert, dass immer mehr Partnerbörsen im Internet auf Erfolgskurs gingen. Warum sollte es dann verwerflich sein, den Mann seiner Wahl im selben Medium auf Herz und Nieren überprüfen zu können? Das war nur die logische Weiterentwicklung. Joe kam zu dem Schluss, dass Alf und Marc einfach zu traditionell dachten, um ihre innovative Idee zu würdigen. Und das sagte sie ihnen auch.
»Es geht weder um Philosophie, letztendlich auch nicht um Konstantin«, fügte sie abschließend hinzu und hoffte, das Thema damit zu beenden.
»Ach ja?« Ausgerechnet jetzt schien Marc das Nirwana komplett verlassen zu haben.
»Ja«, erklärte Joe bestimmt. »Es geht lediglich um die Chance, das Internet zu nutzen. Mit Konstantin habe ich nur einen Einstieg vorgegeben. Andere Frauen werden es mir nachmachen. Es ist eine neue Zeit, mit neuen Medien, die gigantische Möglichkeiten eröffnen. Warum soll man sie nicht auch für die Liebe nutzen, um sich vor üblen Erfahrungen zu schützen? Das ist nicht verwerflich!« Sie schenkte Alf ein Lächeln und meinte: »Du beispielsweise könntest die Daten deines Thomas eingeben und dich kundig machen, welche Erfahrungen andere mit ihm gemacht haben.«
»Will ich aber nicht.«
»Und warum bitte willst du das nicht?«
»Weil ich lieber auf mein Gefühl als auf deine Webpage höre.«
»Klasse. Du hast ja gesehen, wohin mich mein Gefühl gebracht hat.«
»Warum fragst du uns eigentlich?« Marc hatte die Augen geöffnet und schien Joe in die Seele schauen zu wollen.
»Ich habe nicht gefragt, ich habe nur erzählt. Außerdem hat jeder Mensch die Wahl, seinen Partner zu überprüfen oder es bleiben zu lassen. Und es müssen ja nicht zwangsläufig nur negative Kommentare auf der Webpage stehen. Ich weiß nicht, warum ihr so auf mir herumhackt!«
»Und wenn jemand die Unwahrheit schreibt, die Frauen Geheimnisse entdecken, die sie besser nicht entdeckt hätten, wenn …«
»Wenn, wenn, wenn!« Joe unterbrach ihn genervt. »E-Bay übernimmt auch keine Garantie für die Integrität der Verkäufer und Käufer.«
Marc setzte sich auf. »Hey, ist doch nicht böse gemeint. Aber wir sprechen nicht über DVD-Player, Lichtleisten oder Briefmarken. Alles, was du in den Kosmos schickst, kommt zu dir zurück.« Der Blick, den Alf ihm zuwarf, zeigte vollkommene Übereinstimmung.
»Ihr und euer Kosmos!« Joe zog die Hand weg, auf die Marc mit einer beruhigenden Geste die seine gelegt hatte. »Ist die Webpage erst bekannt, werdet ihr sehen, wie positiv andere Menschen sie im Gegensatz zu euch aufnehmen.«
»Ich kann dir nur wünschen, dass niemand sie bekannt macht.«
»Danke, Alf«, brummte
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