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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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ihn geschrieben hatte, doch er konnte nicht mit Sicherheit wissen, wer der Urheber der Webpage » www.der-transparente-mann.de « war.
    »Rache bringt nur schlechtes Karma«, kommentierte Alf, als sie ein paar Tage nach dem gemeinsamen Abend mit Thomas endlich die Ruhe fanden, über die besagte Seite im Internet zu sprechen.
    Es war einer der vielen Feiertage, die den Herbst versüßten, und sie radelten zusammen mit Marc im Englischen Garten, mit Picknickdecke, bayerischem Wurstsalat und heißem Leberkäse im Rucksack, um noch ein letztes Mal die Energie der Sonne zu tanken, bevor der Winter ihnen für die kommenden Monate die Kraft rauben würde. Sie alle liebten diese Oase mitten in München, die mit dreihundertsiebzig Hektar die größte innerstädtische Grünanlage der Welt ist, geschmackvoll angelegt mit Seen, einem japanischen Teehaus, dem Chinesischen Turm. Das alles ist von einer solch wildromantischen Schönheit, dass selbst die Erholungssuchenden sich in ungewohnter Toleranz üben. Nur selten regen sich die Angezogenen über die Nackten auf, die sich im Sommer am Eisbach bräunen. Eltern mit Kindern existieren friedvoll neben Hundebesitzern, Inlineskatern, Radlern und Joggern.
    Als Joe ihn kurz nach dem Frühstück angerufen hatte, war Marc zwar über diesen spontanen Vorschlag überrascht gewesen, hatte aber dann erfreut zugestimmt und sich mit ihnen am Kleinhesseloher See getroffen, dort, wo Elektroboote übers Wasser tuckern und Enten gefüttert werden.
    Gemeinsam radelten sie von da aus weiter bis zu einem Ort, wo die Spaziergänger seltener wurden. Dort wählte Alf einen Platz unter einem alten Kastanienbaum aus. Die knorrigen Aste hatten bereits die Früchte abgeworfen, aus denen Alf als Kind Gesichter und kleine Figuren gebastelt hatte. Lächelnd erzählte er von diesen Erinnerungen. Die hübschesten Exemplare hatte er schon damals verschenkt, um anderen eine Freude zu bereiten. Joe mochte Kastanien nur heiß geröstet, abgesehen von den bemalten, die Alf ihr früher in die Schultasche geschmuggelt hatte. Manchmal hatten sie sie als Wurfgeschosse benutzt, denn als Kind war Joe fast so wild wie ein Junge gewesen, und daran hatte sich in mancher Hinsicht bis heute nichts geändert.
    Ausgestreckt lagen die drei nun auf der Decke, der Himmel über ihnen bayerischblau, aber bei Joe stellte sich nicht die Ruhe ein, die sie normalerweise verspürte, wenn sie hier die Natur genoss.
    Doch offensichtlich fühlten sich die anderen wohl. Marc rauchte, hielt die Augen geschlossen und genoss mit seelenvollem Lächeln die warme Herbstsonne. Alf lag mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen auf dem Rücken, spielte im Mundwinkel mit einem Grashalm und schien mit sich und der Welt in vollkommener Harmonie zu sein.
    Nur Joe konnte sich nicht entspannen. Alfs Kommentar spukte in ihrem Kopf herum. Abrupt setzte sie sich auf, griff nach den kugeligen Geschossen und schleuderte sie so weit, wie es ihr möglich war, von sich. Bereits in der Schule war Joe gut im Weitwurf gewesen. Die Kastanie schlug in einem fast fünfzehn Meter entfernten Haselnussstrauch ein, und Joe sagte entschieden: »Mit Rache hat das nichts zu tun.«
    »Ach ja?« Alf lächelte tiefgründig.
    »Rache wäre primitiv.«
    »So ist es.«
    »Klar wird Konstantin sich nicht darüber freuen, aber es geht nicht um ihn. Ich habe ja nicht gelogen, sein Auto zerkratzt, ihn beim Finanzamt verpfiffen oder ihm sonst wie geschadet. Das wäre Rache.« Joe dachte an die Erzählungen einer Freundin, mit der sie heute nichts mehr verband als die Erinnerung. Nach jenem Desaster mit ihrem Freund war diese Freundin für immer in Berlin abgetaucht.
    »Das wäre eine primitive Rache.« Alf ließ nicht locker und lächelte noch einen Tick bedeutsamer, während Marc irgendwo in abgehobenen Hemisphären verweilte.
    »Sagte ich ja.« Unwillig verscheuchte Joe eine Fliege, die sich mit ihr um den Leberkäse streiten wollte.
    »Joe, das macht es trotzdem nicht besser.«
    Du liebe Güte! So hatte sie den sonst so sanftmütigen Alf selten erlebt. Seit sie Schulbank und Pausenbrote geteilt hatten, hatten sie sich fast nie gestritten, aber jetzt war die Spannung zwischen ihnen direkt fühlbar. Joe verstand es nicht. Normalerweise brachte Alf höchste Toleranz für andere auf, nur in diesem Fall war er so entschieden in Opposition wie nie zuvor.
    »Du musst das große Ganze sehen«, versuchte es Joe nochmals. »Ich habe nur die Wahrheit geschrieben und anderen ein Forum

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