Der transparente Mann (German Edition)
feilen, die verschiedenen Links, das Gästebuch und Diskussionsforum einzurichten und auch noch eine E-Mail zu entwerfen, die sie an sämtliche Tageszeitungen, Frauenzeitschriften und so weiter verschicken wollte.
Es war fast sieben Uhr abends und längst dunkel, als Joe das vertraute Geräusch des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür vernahm. Sie klemmte, da sich das schlechte Holz im Laufe der Jahrzehnte irreparabel verzogen hatte.
Erleichtert sprang Joe vom Schreibtisch auf und stürzte zur Tür. »Endlich! Wo warst du? Ich habe mir schon …« Ihr versagte die Stimme. Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Am liebsten wäre sie in ein Mauseloch gekrochen. Neben Alf, der drei Pizzakartons in der Hand jonglierte, lächelte ihr ein anderer Mann entgegen. Seine Haare waren mit weichem Schwung aus dem Gesicht gebürstet, sein Blick leicht amüsiert. Joe kannte ihn. Es war der Besitzer des Blumenladens, und auch er hatte sie auf den ersten Blick erkannt.
»Ihr kennt euch ja. Das ist Thomas.« Alf grinste und kniff Joe heimlich in den Po, damit sie den Schock überwand und aus ihrer Erstarrung erwachte.
»Ja.« Mehr konnten ihre Lippen nicht formen. Sie spürte den Schmerz dort, wo Alf zu viel Fett- und zu wenig Muskelgewebe zwischen Daumen und Zeigefinger gequetscht hatte. Es würde ein dicker blauer Fleck werden, das spürte sie deutlich. Aber das war egal. Die Verunstaltung konnte sowieso niemand mehr sehen.
»Hallo«, sagte Thomas zu ihr und lächelte immer noch.
Blitzartig schössen Joe Sequenzen aus dem Blumengeschäft durch den Kopf. Sie sah sich im blauen Overall in diesem schönen Laden stehen, um diesen Mann, der jetzt eine Flasche Sekt in der Hand hielt, hinterhältig zu beklauen, während er liebevoll Lilien zu einem Strauß band, den sie nie hätte bezahlen können. Joe schluckte, ihr wurde übel. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Zu gern hätte sie gewusst, wie Alf ihren Diebstahl entschuldigt hatte. Allerdings brauchte man auch keinen hohen IQ, um zu kombinieren. Ob dieser Mistkerl Konstantin jemals im Blumenladen angerufen hatte? Er musste ja geglaubt haben, Joe hätte ihre Informationen aufgrund einer unverzeihlichen Indiskretion bekommen. Vielleicht hatte das Blumengeschäft deshalb sogar einen guten Kunden verloren?
Während Alf die Pizzakartons auf dem kleinen Schrank im Flur abstellte, seine Jacke auszog und sie zusammen mit dem Trenchcoat seines Liebsten an die Garderobe hängte, kam Joe langsam zu sich. Sie versuchte, sich zu sammeln, zwang ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen und erwiderte: »Hallo.«
Höflich küsste Thomas sie auf beide Wangen.
»Die Blumen«, bemerkte Joe unnötigerweise.
»Ja, ja, die Blumen.« Auch ihm war klar, welche komplexe Geschichte diese zwei harmlosen Worte beinhalteten. Zwei Grübchen zeigten sich auf glatt rasierter Haut, er nickte und drückte dann Joe abrupt die Flasche Sekt in die Hand. Vermutlich war er ob ihrer verstörten Reaktion auch ein wenig verunsichert. »Ich wollte mich bedanken.«
»Wofür bedanken?« Joe, die sich gerade langsam von ihrem Schrecken erholte, blickte ihn verblüfft an.
»Na ja, dass du ihn mit dem Buch zu mir geschickt hast.« Sein Blick sagte alles. Alfs Blick auch.
Egal, ob es einen Mann oder eine Frau erwischt hat – Gefühle, gepaart mit satten Armeen von Glückshormonen, schenken jedem Menschen eine spezielle Schönheit und Ausstrahlung. Joes Blick fiel auf den Garderobenspiegel. Alles klar! Deutlicher hätte das Urteil über den katastrophalen Zustand ihres Hormonspiegels nicht ausfallen können. Sie erblickte sich in roter Jogginghose mit knittrigem Shirt, zerzaustem Haar und hektischen Flecken im blassen Gesicht. Sie musste lachen, und das nahm der Situation die allseitige Beklemmung. »Schön, dass ihr da seid!«, sagte sie und ging vor ins Wohnzimmer. Joe freute sich über Alfs Glück. So hatten die Ereignisse doch noch etwas Gutes gebracht, wenn auch anders, als Joe es an jenem Tag im Blumenladen erhofft hatte. Sie entschuldigte sich bei Thomas noch mal ausdrücklich für den Diebstahl des Bestellbuches, was das Mindeste war, was sie in diesem Augenblick tun konnte.
»Es gibt eben Momente im Leben, da handelt man so, wie man normalerweise nie handeln würde«, meinte Thomas einfach nur. Dann wechselte er das Thema, indem er völlig hingerissen von diesem untrüglichen Ziehen im Bauch erzählte, das er verspürt hatte, als Alf zum ersten Mal seinen Laden betreten hatte.
Joe dachte
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