Der transparente Mann (German Edition)
reine Privatsache.«
»Glaubst du wirklich?«
Nein, glaubte Joe nicht, aber zumindest hoffte sie noch, dass die Männer sich bald beruhigen würden. Üblicherweise war das so auf dem Bau, wenn es mal zum Streit kam. Hier bekam man die Antwort immer direkt und unverblümt ins Gesicht geschleudert. Da wurde nicht lange gemauschelt und herumlaviert. Auf dem Bau flogen schon mal Stühle donnernd in die Ecke, mit viel Krach entlud sich mancher Ärger, aber danach war die Luft wieder rein und ruhig wie nach einem Gewittersturm.
»Und Huber?«, insistierte Marc und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch im Bauwagen.
Joes Blick machte deutlich, wie sehr ihr die »Affäre Huber« im Magen lag. Doch das wollte sie nicht zugeben. »Hättest du das gedacht, Marc?«, fragte sie, weil sie lieber über Hubers Betrug an seiner Frau als über die Hintergründe reden wollte, die zu seiner Entlarvung geführt hatten.
»Ich kümmere mich nicht um das, was andere machen.«
Joe wusste genau, was er ihr damit sagen wollte. Sie stand auf, ging zu der schmalen Küchenzeile und schenkte sich den Rest Kaffee ein, der noch in der Maschine war.
»Und was sagt dein Vater dazu?«
Und was? Und was? Und was? Joe biss sich auf die Lippen. Konnte Marc seine nervige Fragerei nicht endlich aufgeben und sie stattdessen einfach positiv unterstützen? Sie wollte lieber nicht an ihren Vater denken, der vielleicht genau in diesem Moment die Schlagzeile über seine Tochter las. Bei dem Gedanken, ihm gegenüberzutreten, wurde es Joe ganz flau. Aber noch herrschte die Ruhe vor dem Sturm, denn sonst hätte er sie längst mobil angerufen. Vielleicht war er jedoch stattdessen auf direktem Weg hierher?
Vorsichtig spähte Joe durch das Fenster des Bauwagens. Ihr Vater war zum Glück nicht im Anmarsch. Aber sie sah, dass die Männer inzwischen ihre Tribünenplätze auf dem Gerüst aufgegeben hatten und nun herumstanden. Bestimmt debattierten sie nicht weniger heftig als klatschende Weiber im Treppenhaus. Unter allen Hennen schreit der Gockel doch am lautesten, befand Joe, und bei diesem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln. Aber dann fiel ihr wieder die drohende Verzugsstrafe ein. Die Zeit drängte, und sie hatte keine Lust mehr auf Marcs vorwurfsvoll-besorgten Blick. Deshalb stürmte sie nach draußen, fest entschlossen, ihre Männer zur Arbeit zu motivieren.
Joe war noch nicht ganz um den Bürocontainer herumgelaufen, da hörte sie bereits Hoffmanns Stimme, der sich mit dem Elektriker unterhielt.
»Die hat sie wohl nicht mehr alle! Stell dir vor, deine Frau erfährt von deiner Süßen!«
»Also, wenn ich jemals auf dieser Seite stehe, kann sie was erleben, Chefin hin oder her. Eine ganz große Scheiße ist das! Was bildet die sich überhaupt ein? Spielt sich hier zur Richterin auf! Ich meine, jeder hat doch irgendwie Dreck am Stecken. Die sollte lieber mal vor ihrer eigenen Tür kehren.«
Als die Männer Joe erblickten, verstummten sie und guckten sie abweisend an.
Joe versuchte, die Gelassene zu mimen, denn nichts wäre in dieser heiklen Situation schlimmer, als die Contenance zu verlieren. Hysterische Frauen waren am Bau sofort unten durch. Also bemühte sie sich um ein süffisantes Lächeln und eine feste Stimme. »Nun haben Sie ja wohl alles besprochen, was es zu besprechen gab. Vielleicht können wir jetzt wieder anfangen zu arbeiten, meine Herren!«
Keine Reaktion. Die Männer starrten Joe herausfordernd an.
»Wir müssen fertig werden«, fügte sie überflüssigerweise hinzu, da ihr Selbstbewusstsein während dieser feindseligen Pause bröckelte und sie das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen.
Noch immer rührten die Männer keinen Finger, stattdessen musterten sie Joe despektierlich und von oben herab, bis ihre Blicke von ihr abschweiften, denn sie hatten offensichtlich etwas in Joes Rücken bemerkt.
Sie drehte sich um und erschrak. Es war Huber, der aus dem Kundendienstwagen ausstieg und drohend auf sie zusteuerte. Joe schluckte. Sie kämpfte gegen die aufsteigende Angst an. Bestimmt hasste Huber sie jetzt. Vor lauter Aufregung biss sie von ihrer Unterlippe kleine Hautfetzen ab. Sie versuchte, den schadenfrohen Blick zu ignorieren, den Hoffmann und der Elektriker tauschten.
Huber war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt, da polterte er bereits los und warf einen demonstrativen Blick auf seine Armbanduhr: »Hey! Fürs Rumstehen werdet ihr hier nicht bezahlt! Los! Worauf wartet ihr noch?«
Hatte er wirklich als Einziger
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