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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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diese verfluchte Zeitung nicht gelesen? Verunsichert schaute Joe ihn an, aber Huber erwiderte ihren Blick so neutral, als ginge es nur darum, die Arbeit schnellstens zu beginnen. Trotzdem nahm Joe die Traurigkeit in seinen Augen wahr.
    Auch die Männer blickten Huber sprachlos an. Sie konnten es nicht fassen, dass Huber so einfach zur Tagesordnung überging, als wäre nichts geschehen. Er agierte völlig souverän.
    Doch Hoffmann konnte sich offenbar nicht beherrschen. »Hast du denn keine Zeitung gelesen?«, rief er.
    »Jetzt wird gearbeitet und nicht gelesen«, lautete Hubers einziger Kommentar, und die Männer setzten sich mit leisem Murren in Bewegung, denn Kulzer war mit dem Material vom Großhändler zurückgekommen. Gemeinsam luden sie den Wagen aus, schleppten Badewannen nach oben und verteilten sie in den Bädern, als wäre nichts geschehen.
    Während Joe etwas später gemeinsam mit Marc und Huber in einem Badezimmer die Wanne justierte, beobachtete sie ihren Obermonteur voller Bewunderung. Wie schnell und selbstverständlich er doch die Normalität wiederhergestellt hatte, anstatt sie vor all den anderen in der Luft zu zerreißen. Es tat Joe ehrlich leid, dass sie ihn durch ihre Webpage bloßgestellt hatte. Am liebsten hätte Joe diese dumme Sache rückgängig gemacht. Kaum bot sich die Chance, kurz mit ihm allein zu sprechen – Marc machte eine kurze Zigarettenpause –, redete sie sich all das von der Seele. Sie endete mit einer Entschuldigung, die von Herzen kam. Vor Marc wäre ihr dieses ehrliche Bekenntnis peinlich gewesen.
    »Machen Sie sich da mal keine Gedanken, Joe. Sie wollten mich ja nicht persönlich angreifen. Wie konnten Sie es auch wissen?«, entgegnete Huber väterlich. Hubers menschliche Größe beschämte Joe. Nein, er hasste sie nicht. Er hatte ihr verziehen, wie er ihr früher verziehen hatte, als Joe noch ein kleines Mädchen gewesen war und so manch einen Streich ausgeheckt hatte, um ihn zu ärgern.
    »Und … und Ihre Frau …?«, fragte sie schließlich zaghaft.
    Huber hob resigniert die Schultern und wirkte unendlich traurig: »Es ist, wie es ist. Dafür gebe ich niemandem die Schuld außer mir selbst.«
    Joe war froh, als Marc ins Bad zurückkam, denn sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Huber hatte sie mit seiner Generosität letztendlich noch mehr beschämt. Kaum aber hatte sie sich wieder in die Arbeit vertieft, meldete sich ihr Handy mit einem Blues. Es war Alf, der um diese Zeit normalerweise schlief, jetzt aber hellwach und auf hundertachtzig war. Das hatte Joe bei ihrem Freund, der sonst ein Vorbild an Gelassenheit war, noch nie erlebt.
    »Was heißt, ob ich die Zeitung gelesen habe!«, blaffte er zurück. »Seit sieben rufen alle möglichen Leute hier an. Ständig klingelt es an der Tür. Eine Katastrophe, es ist die Hölle!«
    Noch nie hatte Joe ihn so wütend erlebt. Selbst als kurz vor einem Auftritt einmal das Clownskostüm verschwunden war, hatte er die Ruhe bewahrt. Damals hatte er mit einem milden Lächeln den römischen Philosophen Seneca zitiert, und Joe machte es ihm in ihrer Hilflosigkeit jetzt nach, obwohl es ihr selbst irgendwie albern erschien.
    »›Wenn alle daniederliegen, dann spare nicht mit deiner Bewunderung bei dem, der aufrecht steht‹.«
    Aber Zitat stimmte Alf keinen Deut milder.
    »Joe, wenn du die Webpage nicht löschst, zieh ich hier aus«, sagte er in aller Deutlichkeit und beruhigte sich erst, als sie es ihm hoch und heilig versprach. Gleich heute Abend wollte sie den Spuk beenden, denn Alfs Anruf machte ihr das ganze Ausmaß der Katastrophe klar. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wütende Männer, die gegen ihre Wohnungstür hämmerten. Zum Glück hatte Alf es abgelehnt, bei Thomas zu übernachten, weil er Joe nicht im Stich lassen wollte.
    Ach, Alf!, dachte Joe, und ihr wurde ganz warm ums Herz. Er wusste, dass sie längst nicht so mutig war, wie sie tat, sondern jetzt dringend seine Hilfe brauchte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie sogar schon überlegt, sich bei ihren Eltern zu verstecken. Aber das wäre für Joe wirklich die allerletzte Lösung gewesen.
    Die Arbeit auf der Baustelle ging jetzt streng nach Vorschrift, ja fast nach Tarifvertrag weiter, denn Joe hatte das stillschweigende Abkommen des kameradschaftlichen Füreinanders und Miteinanders gebrochen. Wo immer sie auftauchte, stieß sie gegen eine Wand des Schweigens. Sie wusste, dass ihr die Männer durch diese schroffe Haltung zeigen wollten, dass sie Mist

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