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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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in das alte Mietshaus und gelangte unbehelligt, aber völlig gestresst in ihre Wohnung.
    Joe war heilfroh, dass dort ein kleines Licht am Ende des Flurs brannte, denn das war ein sicheres Zeichen, dass Alf zu Hause war. Erfreut vernahm sie aus seinem Zimmer ein leises, säuselndes Schnarchen, und sofort regte sich in Joe ein schlechtes Gewissen, denn als Alf sie gestern nicht mehr hatte erreichen können, hatte er ihr voller Sorge gleich mehrmals verzweifelt auf die Mailbox gesprochen. Als Wiedergutmachung nahm Joe sich vor, ihn am Morgen mit einem opulenten Frühstück zu verwöhnen.
    Joe war in den Ereignissen der letzten Stunden viel zu gefangen, als dass sie hätte schlafen können. Leise schlich sie in ihr Zimmer, setzte sich an den kleinen Tisch, auf dem ihr Laptop lag, öffnete den Deckel und schaltete den Computer an. Obwohl sie in einem winzigen Winkel ihres Herzens noch immer daran glaubte, der Menschheit mit der Webpage einen großen Dienst zu erweisen, gab sie sich angesichts ihrer Monteure auf der Baustelle geschlagen. Sie wusste, was sie ihnen schuldig war. Das Ende des Transparenten Mannes war gekommen.
    Sie wartete, bis sich die Webpage in voller Größe auf dem Bildschirm aufgebaut hatte, aber derweil wanderten ihre Gedanken immer wieder zu Marc. Ob er bereits bemerkt hatte, dass sie geflüchtet war?
    M-A-R-C. Diese vier Buchstaben lösten auf einmal ein elektrisierendes Kribbeln in ihrer Magengegend aus. Krampfhaft versuchte Joe, die Gedanken an ihn zu verdrängen und sich stattdessen ganz auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. Gefühle, die nicht sein durften, mussten eliminiert werden. Entschlossen steuerte sie den Pfeil auf dem Monitor in Richtung des Editing-Buttons in der Kopfleiste. Gerade wollte sie diesen anklicken, als sie plötzlich zögerte. Ach, ein allerletztes Mal musste sie doch noch einen Blick auf die Neueingänge werfen, bevor sie die Seiten für immer ins Jenseits schicken würde. Überrascht über sich selbst registrierte sie, dass die vielen neuen Einträge sie auf einmal nur noch nervten. Intuitiv übersprang sie diese kurzerhand, fasste einen Entschluss und gab einen Namen mit Ort und Postleitzahl in das Suchprogramm ein, um jenen Mann zu überprüfen, der sie plötzlich so beschäftigte.
    Mit dem Drücken der Return-Taste loderte die Spannung in Joe hoch. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, bis sie nach Sekunden, die ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, endlich alle Einträge durchforstet hatte und eine leere Seite auf dem Bildschirm erschien. Nichts, aber auch gar nichts fand sich über Marc im Netz! Er war tatsächlich ein unbeschriebenes Blatt.
    Lächelnd wechselte sie auf das Editing-Programm, um endgültig Eintrag für Eintrag zu löschen.
    Als sich auch die letzte Seite in einem grauen Nichts aufgelöst hatte, betrat Alf verschlafen ihr Zimmer. »Wo um Himmels willen hast du die ganze Zeit gesteckt?«
    »Hab ich dich geweckt?«
    Alf ging auf die Frage nicht ein. Er ließ sich auf den Stuhl neben Joe fallen und sah sie mit einem prüfenden Blick an, der sie zunehmend irritierte.
    »Habe gerade den Transparenten Mann beerdigt. Jetzt gibt es ihn nicht mehr. Es war eine Katastrophe«, erklärte sie, um die Stille zu durchbrechen, aber ihre leise Wehmut kam bei Alf nicht an.
    »Wir lernen nur durch leidvolle Erfahrungen«, sagte er unmissverständlich in seiner trockenen Art und fügte hinzu, dass er ehrlich Angst um sie gehabt hatte angesichts der vielen Männer, die auf ihrer Webpage geoutet worden waren und die sich womöglich mit Rachegedanken trugen.
    Joes Gedanken schweiften von ihren Monteuren auf der Baustelle zu Konstantin, und plötzlich musste sie lachen, obwohl ihr eigentlich nicht zum Lachen zumute war.
    Gemeinsam gingen sie in die Küche, und während Joe Kaffee kochte, erzählte sie Alf ausführlich von den Ereignissen des vergangenen Tages. Nichts sparte Joe aus, oder besser gesagt, fast nichts. Denn als sie auf Marc zu sprechen kam, hielt sie sich vornehm bedeckt.
    »Zum Glück hat Marc sich um mich gekümmert«, meinte sie nur. »Bei ihm konnte ich für ein paar Stunden untertauchen, um Konstantin und der Pressemeute zu entgehen.« Bei dieser verkürzten Darstellung der Geschehnisse bemühte sie sich, Alfs aufmerksamem Blick auszuweichen. Er sollte das unruhige Flackern ihrer Augen und die Blässe ihres Gesichts nicht sehen, die sich mit einer leichten Röte abwechselte.
    Aber Alf kannte sie viel zu gut. Er wusste, dass mehr hinter ihren Erzählungen steckte, als

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