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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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wünschte Joe sich, in die heile Welt der Marmeladenwerbung im Fernsehen eintauchen zu können. Aber das Bild, das sich ihr bot, als sie das Esszimmer betrat, war alles andere als anheimelnd. Trotz Kava-Kava-Kapseln vibrierte Joe innerlich. Zwar saßen ihre Eltern zusammen am Frühstückstisch, aber die Distanz zwischen ihnen war nie deutlicher gewesen. In sich zusammengesunken saßen sie über ihren Gedecken. Ihre Mutter wirkte viel kleiner und zerbrechlicher als sonst. Sie trug ihren Morgenmantel, ein mit roten Rosen bedrucktes Stück, das seine besten Zeiten wohl in den Siebzigern erlebt hatte. In den letzten zwanzig Jahren hatte Joe ihre Mutter niemals im Morgenmantel am Frühstückstisch sitzen sehen, denn sie legte selbst in der Frühe schon großen Wert auf ein adrettes und frisches Auftreten. Zudem schien das Blumenmuster sie an diesem Tag regelrecht zu erdrücken.
    »Guten Morgen.« Fast schüchtern kamen diese zwei Worte über Joes Lippen und blieben im Raum hängen.
    Ihre Mutter erwiderte den Gruß nicht. Sie warf ihr nur einen traurigen Blick zu. Auch ihr Vater erschien Joe wie verwandelt. Statt wütend herumzupoltern, nahm er seine Tochter nur kurz in Augenschein, dann hob er resigniert die Schultern, um gleich darauf mit dem gleichen traurigen Blick, den Joe bereits bei ihrer Mutter registriert hatte, weiter vor sich hinzustarren.
    Das war doch nicht ihr Vater! Noch nie hatte er so kraftlos dagesessen. Warum sagte denn niemand ein Wort? Dieses Schweigen war für Joe unerträglich, schlimmer als jeder noch so laute Streit. Fragend schaute sie von einem zum anderen, doch ihre Eltern schienen sie nicht länger zur Kenntnis zu nehmen. Irritiert trat Joe näher und ließ sich unschlüssig auf einem Stuhl nieder. Ganz vorne auf der Stuhlkante saß sie, angespannt, den Rücken kerzengerade.
    Abrupt erhob sich ihr Vater und ging, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an ihr vorbei, um das Zimmer zu verlassen.
    »Es tut mir leid, Paps. Ich wollte uns keinen Ärger machen. Entschuldige bitte, dass ich gestern nicht gekommen bin. Es ging einfach nicht. Außerdem hattest du so Recht mit Konstantin. Er ist ein Frauenheld und Lügner. Seinetwegen hab ich das Ganze angezettelt. Ich wollte andere Frauen einfach vor solchen Typen warnen. Deshalb habe ich die Webpage ins Netz gestellt, nur deshalb. Niemals hätte ich gedacht, dass diese Seite so einen großen Wirbel verursachen könnte. Darüber habe ich überhaupt nicht nachgedacht«, stieß Joe hastig hervor. Sie hoffte, ihren Vater durch ihre Erklärungen aufhalten zu können.
    Er nahm jedoch gar keine Notiz von ihr. Sekunden später hörte Joe, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel.
    Sie war überzeugt, dass ihre Mutter mehr Verständnis für sie aufbringen würde, sobald sie merkte, dass die Tochter sich ernsthaft mit ihrer Tat auseinander gesetzt hatte. Deshalb fuhr Joe fort: »Natürlich wollte ich Konstantin auch eins auswischen. Und zunächst habe ich mich über meinen Erfolg gefreut. Aber jetzt weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Mama, bitte sprich doch mit mir!«
    Als ihre Mutter weiterhin keine Reaktion zeigte, stand Joe auf, um sich aus dem lackierten Wandschrank eine der großen »Käfer«-Tassen zu holen. In alter Tradition brachte ihr Vater sie wie Trophäen jedes Jahr vom Oktoberfest mit. Das tat er bereits seit so vielen Jahren, dass ihre Eltern mittlerweile nicht mehr wussten, wohin mit all den Tassen. Auch Joes eigener Haushalt schöpfte längst aus diesem Fundus.
    Joe setzte sich wieder, schenkte sich aus der weißen Porzellankanne Kaffee ein und wartete auf eine Reaktion ihrer Mutter. Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie gedankenverloren den Frühstückstisch betrachtete. Alles musste harmonieren. Darauf legte ihre Mutter größten Wert. Nur heute offensichtlich nicht, bemerkte Joe plötzlich betrübt. Ihre Mutter hatte die Servietten vergessen, und die Milch stand im Tetrapak, anstatt wie üblich im Kännchen, auf dem Tisch.
    Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit, hob Hilda den Blick, sah ihrer Tochter fest in die Augen und sagte mit leiser Stimme: »Du hast alles kaputtgemacht. Alles.«
    Alles Blut schien Joes Körper zu verlassen. Diese Aussage verwirrte sie. Instinktiv begann sie, sich zu verteidigen, aber ihre Stimme klang hölzern und fremd. »Wieso denn das? Jetzt mach doch kein Drama daraus! Unsere Leute werden sich schon wieder beruhigen. Ich rede mit ihnen, gleich nachher, wenn ich auf die Baustelle komme. Du wirst

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