Der transparente Mann (German Edition)
den Fahrtwind um die Nase wehen. »Man gewöhnt sich daran«, versicherte sie ihm. Doch das war offenbar kein Trost, das merkte sie an dem zweifelnden Blick, den Marc ihr zuwarf. »Vielleicht setze ich mich besser hinten auf die Pritsche.« Joe hatte als Teenager schon öfter mal die Ladefläche des einen oder anderen Firmenwagens als heimliche Mitfahrgelegenheit ins Zentrum genutzt.
»Du würdest dich nur verkühlen.«
Das stimmte. Der feuchte Stoff klebte unangenehm an ihrer Haut, und eines wusste Joe genau: So wie sie aussah, wollte sie weder Alf noch Thomas begegnen. »Nicht nach Hause«, bat sie Marc deshalb, der sie auch ohne weitere Erklärungen verstand.
»Ich bring dich zu mir.«
Das war eine hervorragende Idee, befand Joe. Denn bei Marc würde sie niemand vermuten. Konstantin nicht und die Presse auch nicht. Bei Marc konnte sie endlich, endlich duschen, er hatte sicher Bier zu Hause; sie konnten Pizza essen und reden, denn es drängte Joe zu erfahren, was alles passiert war, während sie im Dixi-Klo eingesperrt gewesen war.
Er hatte zwar kein Bier, dafür aber einen Chianti im Haus, an dem Joe nun nippte und der seine wunderbar wärmende Wirkung nicht verfehlte. Frisch geduscht saß sie Marc inzwischen gegenüber auf dem Korbsofa. Sie steckte in sauberen Jeans, die sie von Marc geliehen hatte, und in einem seiner Hemden, das sie genauso klein erscheinen ließ, wie sie sich fühlte. Darunter trug sie nichts. In der Zeit, die Joe für ihre Großreinigung benötigt hatte, hatte Marc zuerst den Pizzadienst bestellt und dann all ihre Klamotten, einschließlich ihrer Unterwäsche, in die Gemeinschaftswaschmaschine im Waschkeller gestopft. Insgeheim verfluchte sich Joe dafür, dass sie ihren angegrauten Sport-BH nicht längst entsorgt hatte. Jetzt hoffte sie, dass Marc nicht auch noch das fünfmarkstückgroße Loch in der Spitze ihres Slips entdeckt hatte. Sie schwor sich, daheim ihre Unterwäsche sofort auszusortieren und alle abgetragenen oder leicht eingerissenen Teile, die sie immer mal nähen wollte, aber dann doch wieder anzog, endlich in die Mülltonne zu stopfen. Joe spielte einen Moment mit dem Gedanken, Marc zu erklären, dass sie durchaus einige sexy Dessous besaß, die sie für bessere Zeiten aufsparte. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Schließlich konnte es ihr egal sein, was er über ihre Unterwäsche dachte. Deshalb fragte sie ihn: »Wieso haben die das Dixi-Klo ausgerechnet in Konstantins Auto gestellt?«
Er grinste breit. »Sein Schlitten hat eben eine magische Anziehungskraft. Nicht nur auf Frauen.«
Joe überging den kleinen Seitenhieb.
»Zuerst wollten sie dir nur ein wenig Angst machen, glaube ich. Aber als sie dann den schicken Wagen sahen, wie er so einladend dastand, konnten sie nicht widerstehen. Du hättest mal sehen sollen, was der Typ für einen Sprint hingelegt hat. Dafür, dass der Estrich in Batzen an seinen Schuhen pappte, ist er gar nicht so schlecht gerannt.«
Joe musste nun doch ein kleines bisschen lachen. Sie nahm noch einen Schluck Wein und spürte den weichen, leicht holzigen Geschmack, der an ihrem Gaumen hing und sich auch auf ihr Gemüt zu legen schien. Ihre Miene verdunkelte sich, und sie sagte: »Alle haben mitgemacht.«
»War doch nur ein dummer Scherz.« Marcs Tonfall war liebevoll, und ebenso liebevoll hielt er ihr ein Stück Pizza unter die Nase.
Aber beim Gedanken an ihre Monteure war Joe der Appetit vergangen. »Die sind doch alle gegen mich.«
»Tja, wundert es dich?«
Joe schwieg und wich Marcs Blick aus.
»Komm, Joe, jetzt iss. Die Männer haben ihren Spaß gehabt, das war ihre kleine Rache. Und du bist ja letztendlich nicht unschuldig daran gewesen. Was hältst du davon, wenn du dich einfach mal um dich kümmerst und den Rest der Welt leben lässt. Die Erde dreht sich auch ohne dich.«
Für diese Worte hätte sie Marc am liebsten abgeknutscht. Ihr Hunger kam zurück, sie biss in das letzte Stück Pizza, und die Welt sah längst nicht mehr so düster aus. »Schade, dass du nicht Konstantin bist«, seufzte sie spontan.
Abrupt stand Marc auf, trug seinen Teller weg, ließ aber ihren stehen, obwohl der bis auf den Teigrand, der Joe einfach immer viel zu trocken war, ebenfalls leer war.
»Du hast mich falsch verstanden. Ich meinte, dass er nicht so liebevoll ist wie du«, rief sie ihm hinterher.
»Ich geh in den Keller. Deine Klamotten …« Marc wollte offensichtlich nicht weiter darauf eingehen.
Joe sprang auf. »Warte, ich mach das schon!«
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