Der Traum der Hebamme / Roman
annehmen … das habe ich nicht verdient …« stammelte er.
»Doch, das hast du«, widersprach Raimund und legte ihm einen Arm auf die Schulter. »Lukas berichtete mir vor ein paar Tagen, was du im Heiligen Land für meinen Sohn getan hast. Niemand hätte mehr Anrecht als du, ihn zu bekommen. Auch Roland hätte es so gewollt. Nimm ihn, im Gedenken an deinen Vater.«
Thomas war sprachlos, überwältigt von widersprüchlichsten Gefühlen.
Graf Dietrich schien zu erraten, wie es um ihn bestellt war. Auch ihm stand das Bild Christians auf seinem Grauschimmel vor Augen. »Ich kann es kaum erwarten, Euch auf dem jungen Drago zu sehen«, sagte er lächelnd zu Thomas. »Und wenn diese Aussicht Lukas nicht vom Krankenlager treibt, dann weiß ich nicht, was noch …«
Raimund erschrak. »Lukas ist verwundet? Wie geht es ihm?«
»Marthe ist bei ihm. Wollt Ihr zu ihnen? Ich glaube, sie könnten beide die Hilfe und Gegenwart von guten Freunden brauchen.«
Raimund wies Wito – einer der Reisigen, die mit ihm gezogen waren – an, sich um die Pferde zu kümmern. Der Stallmeister der Weißenfelser Burg hatte sich bereits eingefunden, um selbst dafür zu sorgen, dass die wertvollen Tiere gut untergebracht wurden.
Thomas führte Raimund und Elisabeth zu seiner Mutter und seinem Stiefvater. Lukas lag immer noch reglos da. Marthe stemmte sich hoch und umarmte Elisabeth; beiden Frauen standen Tränen in den Augen. Raimund starrte auf Lukas, als könnte er ihn allein mit seinen Blicken aufwecken. Niemand von ihnen sagte ein Wort.
Thomas ging leise hinaus; er fühlte sich hier fehl am Platze. Später würde er sich mit Raimund in eine stille Ecke zurückziehen, um mit ihm über Akkon zu reden.
Jetzt zog es ihn zu den Ställen. Vorsichtig näherte er sich dem Grauschimmel. »Du siehst wirklich aus wie der auferstandene Drago«, sagte er mit brüchiger Stimme und ließ den Hengst an seiner Hand riechen.
Wito, der Reitknecht aus dem Muldental, ging auf ihn zu und beglückwünschte ihn zu seinem neuen Pferd. »Ich bin auf ihm bis nach Eisenach geritten, um Euern Stiefvater zu warnen«, berichtete er nicht ohne Stolz und begann, ein paar Eigenheiten Dragos aufzuzählen.
Thomas strich dem jungen Tier sanft über die Nüstern.
Plötzlich spürte er das Bedürfnis, Clara von den Neuigkeiten zu erzählen, die sein Innerstes so durcheinanderwirbelten.
Mit großen Schritten lief er über den Hof, geradewegs zu ihrer Kammer. Doch da war sie nicht, sondern nur Lisbeth, das Kindermädchen, das seine kleine Nichte behütete, während sich Clara um die Verwundeten kümmerte. Er hatte sie nur ein paar Mal gesehen und wusste fast nichts über sie: eine junge Magd, deren Kind vor einiger Zeit gestorben war und die sich mit so viel Innigkeit und Wärme um die kleine Änne kümmerte, als wäre es ihre eigene Tochter. Er wusste nicht einmal, ob sie einen Mann hatte.
Lisbeth fuhr zusammen, als Thomas in die Kammer stürmte. Sie hielt Änne auf dem Arm.
»Gerade ist sie eingeschlafen, Herr«, wisperte sie, hauchte der Kleinen einen Kuss auf die Wange und legte sie in die Wiege.
Ihre Sanftheit und Mütterlichkeit berührten Thomas. Auf einmal fühlte er sich, als wäre er angekommen, ohne ein Ziel gesucht zu haben, als könnte hier sein unerklärlicher Durst gestillt werden, gegen den kein Getränk etwas ausrichtete.
Es war nicht das übliche Begehren angesichts eines hübschen Mädchens, das ihn in diesem Moment erfüllte, sondern eher der Wunsch, die Wärme ihres Körpers zu spüren, an ihren Brüsten zu liegen, in ihren Armen Trost zu finden.
Lisbeth war zu schüchtern und zu gehorsam, um sich seinen Wünschen zu widersetzen. Aber er spürte, dass sie seine Not erkannte und ihn trösten wollte, wie sie seine kleine Nichte tröstete, wenn sie weinte.
So zärtlich, wie sie eben noch Änne gehalten hatte, umschloss sie nun ihn, liebkoste ihn und strich über sein Haar, während sie beruhigende Worte flüsterte.
Er küsste sie, erst sanft, dann voller Leidenschaft, und genoss es, sich an ihren weichen Körper zu schmiegen.
Eine Weile hielt sie ihn umklammert und wiegte ihn, dann ließ sie sich von ihm aufs Bett ziehen, und sie liebten sich voller Inbrunst.
Ohne Umkehr
E her teilnahmslos statt froh, in Gedanken bereits bei den vielen Dingen, die nun zu regeln waren, bei Befestigungen, die er bauen musste, seinem Verlöbnis mit einer Kindbraut, seinen Schuldgefühlen gegenüber Rolands Eltern, saß Dietrich in der Mitte der hohen Tafel
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