Der Traum der Hebamme / Roman
hingerichtet würde, weil Gott ihn als Schuldigen aufgezeigt hatte! Würde der Kaiser das zulassen?
Und wer würde aus diesem blutigen Kampf als Sieger hervorgehen?
Die Fürsten – zumindest die weltlichen, aber auch manche geistlichen – waren durchweg kampfgestählte Männer, die sofort mit prüfenden Blicken herauszufinden versuchten, wie die Chancen der Kontrahenten standen. Sie waren etwa gleich alt und beide erfahrene Kämpfer. Andererseits lag bei einem Gottesurteil die Entscheidung bei Gott. Nun würde sich zeigen, ob Hermann dem Kaiser wegen des Streits um Thüringen immer noch feindselig gesinnt war. Allerdings, so überlegte mancher im Saal ganz nüchtern: Hermann
regierte
Thüringen, weshalb also sollte er dem Kaiser zürnen und ihn ermorden wollen?
Heinrich hob die Hand, um Ruhe zu erzwingen, ein donnernder Ruf Markwards von Annweiler unterstützte ihn dabei.
»Ihr wagt viel, Albrecht von Wettin«, sagte der Kaiser mit schleppender Stimme. »Seid Ihr Eurer Sache so gewiss? Eure Familie neigt anscheinend dazu, auf Hoftagen solche Herausforderungen auszusprechen. Hat nicht Euer Oheim Dietrich von Landsberg einst in Magdeburg den Welfen Heinrich den Löwen zum Zweikampf auf Leben und Tod herausgefordert?«
Mit einer Geste schnitt er Albrechts Antwort ab. Die Sache war allgemein bekannt, jener Zweikampf hatte nie stattgefunden, weil der Löwe zum anberaumten Tag nicht antrat, und außerdem lagen die Dinge damals anders: Kaiser Friedrich von Staufen und Kaiserin Beatrix persönlich hatten den im Umgang mit dem Schwert legendären Landsberger zuvor unter sechs Augen gebeten, diese Herausforderung auszusprechen – in der Hoffnung, der Löwe würde deshalb zum dritten Mal einer Ladung des Kaisers nicht folgen und konnte geächtet werden, was dann auch geschah.
Diesmal hingegen, so beurteilte Heinrich die Lage, plusterte sich nur ein rachsüchtiger Gernegroß auf, um einem Gegner eine verlorene Schlacht heimzuzahlen. Dennoch würde ihn diese Einschätzung nicht daran hindern, in Zukunft auch den Thüringer etwas genauer im Auge zu behalten.
»Landgraf, was habt Ihr auf diese Herausforderung zu entgegnen?«
»Ich bin bereit«, erwiderte Hermann gelassen und wandte sich Albrecht zu. »Dann wird das Euer Tod sein, denn Eure Worte sind eine Lüge – vor Gott, Seiner Majestät und allen hier Versammelten.«
Abwechselnd sah der Kaiser zu den verfeindeten Fürsten; nun hätte man eine Nadel im Saal fallen hören können.
Jeder wartete, wie der Herrscher entscheiden würde.
Um mehr Eindruck zu erzielen, ließ sich Heinrich Zeit mit seiner Antwort.
»Beide Seiten sollen mir auf dem Hoftag in Altenburg ihre Argumente ausführlich vortragen. Dann werde ich entscheiden.«
Mit einer schroffen Geste löste er die Versammlung auf.
Auf dem Hoftag im Dezember in Altenburg jedoch verkündete der Kaiser zur Überraschung der Anwesenden kurz und bündig, er habe keinerlei Zweifel an der Treue des Landgrafen von Thüringen, und die Anklage des Markgrafen von Meißen sei mangels Glaubwürdigkeit zurückgewiesen. Zum Zeichen gegenseitigen Vertrauens und Wohlwollens werde ihn Landgraf Hermann ein Stück auf seiner Reise nach Bayern begleiten. Den Ausschlag zu dieser Wendung gab nicht nur Hermanns überzeugendes Auftreten.
Den Kaiser plagten sehr viel drängendere Sorgen als der gekränkte Ehrgeiz eines rauflustigen Wettinerfürsten. Im November hatten einige seiner Gefolgsleute Albrecht von Löwen ermordet, jenen Bruder des Herzogs von Brabant, den viele Edle am Niederrhein als Bischof von Lüttich sehen wollten und der gegen den kaiserlichen Kandidaten vom Papst anerkannt worden war. Da der Kaiser die Meuchelmörder nicht umgehend zur Rechenschaft zog, flammte sofort das Gerücht auf, er selbst habe die Bluttat befohlen. Nun sammelte der aufgebrachte Herzog von Brabant eine machtvolle Fürstenopposition um sich, der sich sogar die Erzbischöfe von Köln und Mainz angeschlossen hatten.
Heinrich konnte es sich nicht leisten, auch noch den einflussreichen Hermann von Thüringen auf deren Seite überwechseln zu lassen.
Außerdem wartete er voller Ungeduld auf die Nachricht, die seine größten Probleme lösen würde, nicht zuletzt die geldlichen. Richard Löwenherz hatte während seiner Heimreise aus dem Heiligen Land Schiffbruch vor der italienischen Küste erlitten und wollte sich unerkannt auf dem Landweg durchschlagen. Leopold von Österreich, der schon lange auf eine Gelegenheit wartete, dem englischen
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