Der Traum der Hebamme / Roman
demonstriert. Die meisten Freiberger ließen sich blenden von dem Schauspiel und ein paar in die Menge geworfenen Pfennigen. Welch grausamer Herrscher Albrecht war, erkannten sie erst später leidvoll.
Lukas hingegen dachte mit Grimm an den Tag, als er hier an dieser Stelle vor aller Augen Albrecht die Treue schwören musste. Er wusste damals schon, dass er einem solchen Herrscher nicht auf Dauer würde Gefolgschaft leisten können, selbst wenn es ihn das Leben kostete.
Marthe und er hatten zuvor erwogen, freiwillig ins Exil zu gehen. Sie beschlossen, so lange wie möglich zu bleiben, um den Stadtbewohnern die Lage nach Kräften zu erleichtern. Doch schon kurz nach Albrechts Machtübernahme kam es zu der blutigen Zerreißprobe, bei der Albrecht Claras Mann für dessen vermeintlichen Verrat tötete. Hätten Verbündete sie nicht aus dem Kerker gerettet, wären Lukas und Marthe auf der Folter gestorben.
Deshalb wirkte Lukas an diesem Tag so finster, auch wenn er sich über den Jubel der Stadtbewohner freuen sollte. Ihre Rückkehr nach sieben Jahren des Exils war noch lange kein Sieg.
Zunächst einmal musste er sich gegenüber dem Burgvogt durchsetzen, der kaum begeistert über sein Erscheinen sein würde. Und dann würde sich zeigen, was er bewirken konnte.
Vielerlei Anzeichen ließen erkennen, dass es der Stadt und ihren Bewohnern nicht besonders gutging: die ängstlichen Blicke, die den Bewaffneten galten, die ihnen drohend entgegenkamen, um nachzuschauen, was da für ein Tumult herrschte, die große Anzahl der Bettler, der vernachlässigte Zustand der Häuser selbst am Oberen Markt, wo die wohlhabendsten Handwerker und Kaufleute wohnten. Offensichtlich hatte Albrecht die reiche Silberstadt gründlich ausgeplündert. Und es war nicht zu erwarten, dass der kaiserliche Statthalter, der nun anstelle eines wettinischen Markgrafen regierte, die einmal festgesetzten Abgaben senkte.
Vom Markt schwenkte die Reisegesellschaft ins Burglehen ab, zu Reinhards Gehöft, das nun Clara gehörte. Bernhard hatte mit ein paar energischen Worten an den Burgvogt dafür gesorgt, dass es ihr zugesprochen wurde.
»Nun geht endlich wieder an eure Arbeit, ihr Leute!«, rief Lukas den Schaulustigen zu. »Hier gibt es nichts Besonderes mehr zu sehen. Ihr wollt doch nicht, dass man euch Müßiggang vorwirft – oder dass der Burgvogt Bewaffnete ausschickt, weil er glaubt, hier geschähe etwas Bedrohliches?«
Vor allem die letzten Worte sorgten dafür, dass sich die Stadtbewohner schleunigst verzogen, wenn auch höchst ungern.
Lukas verabschiedete sich fürs Erste von seiner Familie und seinen Reisebegleitern und ritt mit Bernhard und dessen Vertrautem zur Burg. Er war gespannt darauf, wie Vogt Heinrich auf seine Ankunft reagieren würde. Andererseits kannte er ihn gut genug, um sich das auszurechnen.
Derweil sollte sich Clara mit den Kindern einrichten. Guntram und Lisbeth würden vorerst in das Gesindehaus auf Reinhards Anwesen einziehen. Daniel und Bertram wollte er zu ihrem Schutz dorthin schicken.
Marthe vergewisserte sich, dass Reinhards Gehöft leer und in bewohnbarem Zustand war, dann überließ sie ihrer Tochter alles Weitere hier und ritt mit Daniel, Jakob, Hilbert und den Reisigen zu dem Haus, in dem sie einst mit Christian gelebt hatte.
Burgvogt Heinrich, noch massiger als früher schon, gab sich redlich Mühe, seine schlechte Stimmung zu verbergen.
»Auf Order des Kaisers übernimmt ab sofort Lukas von Freiberg erneut das Kommando über die hiesige Wachmannschaft!«, verkündete er lauthals seinen Männern, die er nach Bernhards unmissverständlicher Botschaft auf dem Burghof hatte antreten lassen, dass dies der kaiserliche Statthalter für die Mark Meißen so wünsche. Und ein Wunsch des kaiserlichen Statthalters war als Befehl des Kaisers zu betrachten.
Dieser Lukas würde wieder jede Menge Ärger bringen, das roch er schon in der Luft. Sein rätselhaftes Auftauchen ausgerechnet an jenem Tag vor beinahe zwei Jahren, als Markgraf Albrecht starb, war auch noch nicht geklärt.
Allerdings musste sich der Vogt eingestehen, wenngleich sehr widerwillig, dass Lukas ihm damals sein Amt und vielleicht sogar den Hals gerettet hatte. Er durfte gar nicht daran denken, wie knapp er der Hinrichtung entgangen war. Seitdem hatte sich seine Lage sogar verbessert: Er musste nicht mehr zwei Herren dienen und dabei den einen hintergehen, indem er dem anderen heimlich Berichte schickte. Der neue Statthalter stellte seine Position
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