Der Traum der Hebamme / Roman
nicht in Frage. Heinrich durfte nach Belieben auf der Freiberger Burg herumkommandieren, solange die Stadtbürger nur pünktlich ihre Abgaben lieferten. Und dafür ließ er seine Männer schon sorgen.
Er würde diesen aufsässigen Kerl genau im Auge behalten. Und auch dessen Kumpane wie den Stallmeister, der nach dem dahergelaufenen Dorfgründer benannt worden war und daraus keinen Hehl machte.
Christian, der Stallmeister, wusste natürlich, dass er beobachtet wurde, und ließ sich nicht mehr auf dem Hof blicken, nachdem er Lukas den Hengst abgenommen hatte. Ein paar kurze Worte und ein verschwörerisches Grinsen von Lukas reichten, um sein Herz vor Freude hüpfen zu lassen. Während er sich im Stall wieder einem Fohlen widmete, das unter Koliken litt, rannte sein schon fast zwölf Jahre alter Sohn zum Schmied Jonas, um von den großartigen Neuigkeiten zu berichten. Lukas und Marthe waren zurück! Und Clara und Guntram!
Christian konnte es kaum erwarten, seiner Frau Anna, Peter und ihren gemeinsamen Freunden davon zu erzählen.
Auch wenn er jetzt zu ihrer aller Sicherheit besser nicht die Nase aus dem Stall steckte – Kuno und Bertram würden ihm nachher schon alle wichtigen Einzelheiten berichten. An dem überforschen Gebrüll des Vogtes erkannte er selbst aus der Ferne und ohne ihn zu sehen, dass diesem ganz und gar nicht wohl in seiner Haut war. Was für eine Genugtuung!
Nun würde Lukas aufräumen mit den Menschenschindern.
Der Stallmeister spitzte die Ohren, während er dem Fohlen über den Bauch strich. Mit etwas Mühe konnte er Lukas’ Worte auch hier hören.
»Es sind allerhand Leute unter euch, die ich nicht kenne. Die Neuen werden mir jetzt gleich vorführen, was sie können, die anderen kommen morgen dran. Du da, der Zweite von rechts, wie heißt du?«
»Martin, Herr!«
»Warum ist dein Gambeson nicht geschlossen? Meinst du, du bist hier, um dir den Bauch in der Sonne zu wärmen? Pack dir einen Sandsack über die Schultern und renne zwölf Runden um den Burghof. Sofort! Na los, worauf wartest du? Und
schließ
den Gambeson! Oder soll ich dir die Ohren stutzen?«
Christians Grinsen wurde noch breiter. War es Zufall, dass sich Lukas gleich einen der ärgsten Schinder ausgesucht hatte? Oder hatte er ihn nach so vielen Jahren wiedererkannt? Dieser Martin war Kunos Stiefbruder und gehörte zu den ersten Siedlern, die einst nach Christiansdorf gekommen waren. Wenig später zog er mit seiner Frau ins Nachbardorf. Sie hatten beide Marthe ziemlichen Ärger bereitet, wusste Christian durch Kuno. Vor ein paar Jahren war Martin verwitwet, verlor Haus und Hof beim Würfelspiel und verdingte sich als Reitknecht bei den Burgwachen.
Bei näherer Betrachtung allerdings erschien es Christian eher unwahrscheinlich, dass dieser üble Kerl rein zufällig als Erster über den Hof gescheucht wurde. Lukas war schlau und hatte ein gutes Gedächtnis – ganz besonders, wenn es darum ging, wer Marthe schaden wollte.
Während Martin keuchend und schwitzend über den Burghof rannte und Lukas den Rest der Mannschaft gründlich zur Ordnung rief, erreichte Marthe mit ihren Begleitern den Ort, wo sie einst wohnte und wo sich nach ihrer Vertreibung aus der Mark Meißen ausgerechnet der Sohn ihres ärgsten Feindes eingenistet hatte.
Er war ein zweistöckiges Haus aus Stein. Christian hatte es bauen lassen, nachdem sein früheres Heim auf Randolfs Befehl niedergebrannt worden war.
Hier hatte Marthe glückliche, wenn auch nie unbeschwerte Jahre verlebt und ihre Kinder zu Welt gebracht, hierher war sie nach Christians Ermordung zurückgezogen, als Albrecht sie zwang, die Burg zu verlassen. Jeder Stein, jeder Balken, jede Schindel schien ihr vertraut.
Doch nun wirkte das Haus nicht mehr wohnlich, sondern verfallen, tot und von Unheil kündend. Es hatte zwei Jahre leer gestanden, und Rutger und seine Spießgesellen waren davor alles andere als pfleglich damit umgegangen.
Die niedrige Tür im Zaun, der das Gehöft umgab, hing schief in den Angeln, ein paar Bretter waren lose, Schindeln hatten sich gelockert und schienen jeden Augenblick vom Dach zu rutschen, dichte Spinnweben hingen in allen Ecken. Das Gärtchen, in dem sie einst ihre Kräuter gezogen hatte, lag verwüstet und brach.
Zögernd öffnete Marthe die hölzerne Pforte, ging die paar Schritte auf das Haus zu und wappnete sich für noch mehr Unheil. Doch weil sie die Blicke der anderen auf sich wusste, gab sie sich einen Ruck und trat ein.
Auch im Inneren
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