Der Traum des Satyrs
Ecke am anderen Ende des Bettes treiben, sprang dann mit einem verzweifelten Satz darauf und rollte sich über die Matratze in Richtung Tür, um zu entwischen.
Er ließ seinen Arm vorschnellen, packte sie von hinten an der Taille und zog sie vom Bett herunter zu sich. Sie wirbelte herum und stieß ihn auf Armeslänge von sich weg, während sie vergeblich versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.
Sein Blick glitt über ihren nackten Körper. Bacchus, sie war schön! Wenn er so darüber nachdachte, waren zwei Stunden doch eine recht lange Zeitspanne. Vielleicht hatten sie ja noch ein wenig Zeit für …
»Kein Sex!«, stieß sie heftig hervor.
Sein Kopf zuckte hoch, und er lachte überrascht. »Was?«
Der Blick, mit dem sie ihn eine endlose Sekunde lang ansah, war anklagend, bevor sie ihn demonstrativ in Richtung seiner Genitalien sinken ließ. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Morgenrock zuzubinden, und nun ragte sein Penis aus dem offenen Spalt des Gewandes aus dunklem Satin, voll erigiert und einsatzbereit. Beinahe bedrohlich in seiner Größe.
Er ließ eines ihrer Handgelenke los, um seinen Morgenrock zu schließen. Die dadurch entstehende zeltförmige Wölbung sah ziemlich komisch aus.
»Bitte entschuldige!«, sagte er. »Es ist nur so, dass …« Er machte eine Bewegung mit seiner freien Hand, deutete auf ihren völlig entblößten Körper. »Du bist schön und … und nackt. Und wir haben schon miteinander geschlafen. Es ist nur natürlich, dass mein Körper auf dich reagiert.«
Ihre Antwort bestand in beleidigtem Schweigen. So wie sie vor ihm stand, auf den Ballen, mit leicht gebeugten Knien und angespannten Schultern, schien sie bereit, jederzeit zu fliehen oder ihn bei der kleinsten Provokation anzugreifen.
»Ich gehe«, verkündete sie schließlich.
»Gehen?« Er hob die Augenbrauen. »Und wohin genau?«
Sie schaute an ihm vorbei durch den Raum, während sie immer aufgeregter wurde. Dann sah sie wieder zu ihm und schien ihre Furcht mit Gewalt zu unterdrücken, als sie trotzig die Schultern straffte. »Ich gehe.«
»Ich entscheide, ob du gehst oder nicht«, widersprach er und verschränkte seine Arme. »Und du wirst nicht gehen, bevor ich dieser Sache auf den Grund gegangen bin. Oder bevor ich weiß, dass du einen sicheren Ort hast, an den du gehen kannst. Hast du verstanden?«
Sie warf ihm einen verdrossenen Blick zu, und dieser Blick schockierte ihn fast mehr als ihre Anwesenheit hier.
Bis heute hatte er nie auch nur die kleinste negative Gefühlsregung in ihrem schönen Gesicht gesehen. In all den Monaten, seit er sie zum ersten Mal heraufbeschworen hatte, war in ihren Augen nie etwas anderes als Verlangen, Hingabe und Unterwürfigkeit zu erkennen gewesen, wenn sie ihn angesehen hatte.
»Warum bist du letzte Nacht nicht wieder zu Nebel geworden, so wie sonst immer?«, wollte er wissen.
Sie zuckte mit den Schultern und setzte eine rebellische Miene auf.
Das Schweigen zog sich in die Länge, doch Vincent wartete ab. Als der geborene Verhandlungsführer hatte er schon vor langer Zeit gelernt, sich in Geduld zu üben, und sich Fähigkeiten antrainiert, mit denen er andere dahin gehend beeinflussen konnte, dass sie ihm entgegenkamen.
»Anders. Ich anders«, stieß sie schließlich hervor.
»Anders? Wie?«
Sie gestikulierte hilflos mit ihren Händen, während sie nach Worten suchte, um zu erklären, was sie meinte. »Du mich holst. Viele Male. Letzte Male ich anders.«
»Willst du damit sagen, dass du nicht mehr zurückkehren kannst nach … dahin, wo Nebelnymphen herkommen? Weil ich dich irgendwie verändert habe?«
Sie nickte einmal, hielt dann mit verwirrter Miene inne und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Habe ich dich zu oft beschworen, um mir zu dienen? Hat dich das real werden lassen?« Er betrachtete sie. »
Bist
du real?«
Sie wandte den Blick ab. »Ich gehe.«
»Da gibt es etwas, das du verstehen musst«, erklärte er, in schärferem Tonfall als beabsichtigt. »Im Augenblick wirst du nirgendwohin gehen. Du bist nackt. Und du leuchtest. Für gewöhnlich können Menschen Nebelnymphen nicht sehen. Aber du bist ja keine richtige Nebelnymphe mehr, oder? Das bedeutet, du könntest jetzt auch für Menschen sichtbar sein. Und wenn man dich sieht, könnte deine Existenz Fragen aufwerfen, die meine Familie in Gefahr bringen. Das kann ich nicht zulassen.«
Er war nicht ganz sicher, wie viel von alldem sie verstand. Vielleicht alles, denn jetzt sah sie noch
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