Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
aus der Ferne. Aber Ihr wart da, in der Zelle bei dem Prinzen.«
    » Kunun war nie in der Zelle«, sagte Hanna. » Er hat mich dort herausgeholt.«
    » Der Prinz war da«, beharrte Elira. » Die Königin hat ihm eine Geschichte erzählt. Wisst Ihr das denn nicht mehr?«
    Eigentlich erstaunlich– es passte tatsächlich alles zusammen. Unverhofft hatte sie die Erklärung dafür erhalten, wie sie durchs Labyrinth entkommen konnte, während Kunun festgenommen wurde. Mattim war da gewesen, an ihrer Seite, sie waren gemeinsam geflohen. Ihr Prinz. Die Erinnerung kam nicht zurück, das zerteilte Bild setzte sich nicht wieder zusammen. Immer noch hatte sie nur Bruchstücke vor Augen. Da war Kunun, der kämpfend vor der Zelle auftauchte, der sie trug… Doch wie sollte sie an etwas glauben, von dem sie nichts wusste? Es konnte nicht so gewesen sein, wie Elira sagte, sie fantasierte bloß.
    Die Königin lehnte den Schrubber gegen die Wand und setzte sich auf das gemauerte Sims eines Fensters, das auf die dunkle Stadt hinausging. » Das ist eine alte Geschichte. Vor langer Zeit, als Magyria noch voller Zauber war, das Land der Magie, pflegten die Menschen hin und wieder die Grenzen von Traum und Wirklichkeit zu überschreiten. Sie setzten einen Fuß in jenes andere Land, das nur einen Lidschlag von unserem entfernt ist, und besuchten dort die Schläfer. Sie kamen zu ihnen als Wölfe, suchten sie in ihren Träumen heim und sangen sie in den Schlaf…« Sie schüttelte sich und zupfte an ihrem Kopftuch. Als sie es löste, wurde ihr zu einem Knoten gebundenes Haar sichtbar.
    » Darf ich?«, fragte Hanna und strich darüber, als hätten sich Blätter in den grauen und goldenen Strähnen verfangen, welke, raschelnde Herbstblätter. » Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie. » Aber daran kann ich mich nicht erinnern. Ich habe allein in meiner Zelle gesessen, ich war so einsam und verloren, bis Kunun kam.«
    » Sein Haar glänzte im Schein der Fackeln wie das Stroh, und beides würde brennen. Goldenes Stroh. Das Feuer würde darüber hinweggleiten wie über eine blühende Wiese…« Es war so still, dass man das Seifenwasser vom Putzlappen am Rand des Eimers auf den Boden tropfen hörte.
    » Wer war bei mir in der Zelle?«, fragte Hanna.
    » Ich weiß es nicht.« Die Königin griff nach dem Schrubber. » Seine Mutter war da. Ich nicht. Ich habe bloß davon geträumt, wie die Wölfe heulen, und von der Liebe eines Mädchens.«
    Es war falsch, dass die Königin hier war, eine Gefangene in dieser düsteren Burg. Ganz und gar falsch. Auch wenn Kunun das Recht hatte, seine alte Feindin hier festzuhalten… Sie war immer noch seine Mutter.
    » Ich hole Sie hier raus.« Wo war bloß die nächste Pforte? Zum Glück gab es jede Menge davon in der Burg. Aber nicht hier. Es war eine Gewissheit, für die sie keine Erklärung hatte. In diesem Teil des Gebäudes nicht. Deshalb hält er sie hier fest, damit kein Schatten auftauchen und sie wegholen kann.
    Es war zwecklos, Kunun zu fragen oder ihm Vorhaltungen zu machen, es war sinnlos, ihn zu bitten, Elira freizulassen. Hanna wusste das. Jemand, der so tief verletzt worden war… Nein, es lag an ihr zu handeln. Am besten, er erfuhr niemals, was sie zu tun gedachte.
    » Kommen Sie.« Hanna fasste die Königin am Arm, schob sie durch den Raum und lotste sie um den Eimer mit dem Wischwasser herum. » Rasch, solange er nicht zu Hause ist.«
    Sie hatte keinen Plan. Sie wusste nur, dass sie sofort handeln musste, denn eine zweite Gelegenheit würde es sehr wahrscheinlich nicht geben. Der Wolf machte einen Sprung, und ein Leuchten überzog sein Tiergesicht. Er rannte voraus, während Hanna die Königin durch die Gänge zog, sie eine Treppe hinaufschubste, mit ihr durch eine dunkle Nische und schließlich vor eine Tür trat.
    » Ich darf nicht hier sein«, wisperte Elira. » Das ist nicht für mich. Hier ist die Königin gegangen, in deren Seele das Licht wohnte. In meinem Traum schreitet sie durch das Schloss, voller Glanz.« Ihre Stimme wurde noch leiser, war kaum mehr zu verstehen, als sie sagte: » Und Bitterkeit. Nicht nur das Licht war da. Acht Kinder hat sie verloren. Sieben Kinder wurden geholt, sieben Kinder stürzten in die Dunkelheit… nur das achte ging freiwillig. Das achte glaubte, es könnte kämpfen, es wäre stärker als alle anderen… Mit dem ersten Sohn begann es, und mit dem letzten endete es. Das Verderben fand in ihm seine Vollendung. Was für ein merkwürdiger Traum, nicht

Weitere Kostenlose Bücher