Der Traum des Schattens
Sterne tanzten vor seinen Augen. Just in dem Moment, als er erneut angriff, bemerkte er das kleine schwarze Gerät in Miritas Hand. Er versuchte noch zu entkommen und hechtete gerade auf die Treppe zu, als ihn der Stromstoß traf, dann gab es nur noch Schmerz und Dunkelheit.
27
BUDAPEST, UNGARN
Réka hastete die Stufen hinunter, die Augen blind vor Tränen.
Attila stand verschlafen an der Tür. » Was ist das für ein Geschrei?«
Sie stieß ihn in die Wohnung und schloss hinter ihm ab.
Da kam ihr ihre Mutter entgegen. » Meine Güte, Réka, was war denn da oben los?«
Im Treppenhaus hörte Réka das Gepolter von Schritten. Vorsichtig öffnete sie die Tür und sah mehrere Männer vorbeirennen, alles Schatten. Mirita hatte nicht lange nach Hilfe suchen müssen, Kununs Soldaten waren überall.
» Still«, flüsterte Réka.
» Erzähl es mir«, verlangte Mónika. Sie dämpfte die Stimme, doch sie klang unerbittlich. » Sofort. Was ist mit Mattim? Mit dem Foto?«
» Ich hab nicht gekämpft«, schluchzte sie. » Ich hab nichts getan, gar nichts. Zusammen hätten wir sie überwältigen können, Mattim und ich. Aber er hat mich weggeschickt, Mária zu suchen. Sie ist das Lichtkind.«
» Dann such sie, verdammt noch mal!«, rief Mónika. » Nein, wir gehen beide.« Sie wandte sich an Attila, der mit weit aufgerissenen Augen danebenstand. » Du versteckst dich«, befahl sie. » Unter dem Bett oder im Schrank. Such dir das beste Versteck, das du finden kannst. Und du gehst nicht an die Tür, egal was passiert, klar?«
Er nickte erschrocken.
» Dann mal los, Réka.« Mónika zog ihre Tochter zum Ausgang.
» Sollen wir nicht besser die Polizei rufen?«, fragte Réka.
» Nein, ganz bestimmt nicht. Diese Stadt gehört Kunun, das weiß ich von Mattim.«
Das Mädchen lauschte ins Treppenhaus. Von oben ertönte Lärm, aber die Stockwerke nach unten waren frei. Sie huschte in den Flur hinaus. Das Ganze kam ihr nach wie vor total unwahrscheinlich vor. Magdolna! Wie schwer musste es für die alte Frau gewesen sein, sich mehrmals am Tag die Stufen hinaufzukämpfen. Was für ein hartes Leben, während der Geliebte immer noch schön und jung war, immer noch kaltherzig und stolz. Wahrscheinlich würde er sie nicht einmal erkennen, wenn sie vor ihm stünde.
Sie winkte ihrer Mutter. » Da oben ist der Teufel los. Rasch, hinunter, bevor uns jemand sieht.«
So lautlos wie möglich schlichen Mutter und Tochter die Stufen hinab und rannten hinaus in den dunklen Nebel.
Fieberhaft sah Mária sich nach einem Hauseingang um, in den sie schlüpfen, nach einem Versteck, in dem sie sich verkriechen konnte, nach anderen Menschen, die ihr helfen würden. Vor den Schatten, die hinter ihr her waren. Sie wusste es. Mattim war ein Vampir, das hatte er nie geleugnet, und als er sie heute so angesehen hatte– so gierig–, da war klar gewesen, was er tun wollte. Réka half ihm auch noch und brachte ihn mit in ihre Wohnung. Wie konnte sie nur! Dabei hatte Mária ihr vertraut.
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und hastete weiter. Hoffentlich taten sie ihrer Oma nichts. Aber Vampire waren vor allem hinter jungen Menschen her, war es nicht so? Sie musste trotzdem zurück und nachsehen, doch in ihrer Angst brachte sie es nicht über sich, umzukehren und sich in die Hände der Feinde zu begeben. Bestimmt hatte Mattim längst das Haus verlassen und wetzte hinter ihr her.
Wie unheimlich die Straßen waren, überall Schatten, noch dunkler als die Finsternis, ein einziges Huschen. Der Wind rauschte in den Blättern, spielte im schwarzen Nebel. Eine alte Zeitung wehte über die Straße, wirbelte den Staub gegen ihr Knie.
Dann lichtete sich das Dunkel für einen Moment. Zwei Gestalten wurden sichtbar, nichts als schwarze Umrisse. Die Schritte wurden lauter, und Mária wäre vor Erleichterung fast in Tränen ausgebrochen. Ein Mann und eine Frau, sie mit einer Umhängetasche, er verliebt den Arm um ihre Schulter. Mária starrte ihnen hoffnungsvoll entgegen, aber sie bekam kein Wort heraus, denn ihre Kehle war so trocken, dass sie beim besten Willen nicht sprechen konnte.
» Können wir dir helfen?« Etwas schien mit seinem Mund nicht zu stimmen. Die Frau lehnte den Kopf gegen seine Schulter.
» Welche… welche Straße ist das hier?«, stammelte Mária.
Niemand konnte ihr helfen. Gegen das, was hinter ihr her war, waren Menschen machtlos. Sie konnte nur hoffen, Mattim abzuschütteln, in einem Bogen nach Hause zurückzukehren, ihre Oma
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