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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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sagt«, meinte Mattim leise. » Nein, Sie sind nicht bloß ein Bauer, sondern mindestens ein Turm. Und vergessen Sie nicht die Dame. Sie ist die mächtigste Figur im Spiel.«
    » Ich wusste, dass es mehr ist als ein Spiel, aber erst wenn man selbst betroffen ist, werden einem die Augen geöffnet, und man erkennt, worum es wirklich geht. Dann werden einem die Kinder anderer Leute recht schnell gleichgültig… Ich will Adrienn zurück, Mattim, deshalb bist du hier. Kunun wird gewinnen. Er hat längst gewonnen. Ich bin Polizist; wenn irgendein Irrer meine Mutter entführt hätte, würde ich jeden Stein nach ihr umdrehen. Bloß wie soll ich in ein Land gelangen, das ich für ein Fantasiegebilde halten würde, wenn ich es nicht besser wüsste? Mir sind die Hände gebunden. Ich gehorche Kunun, wie ich es längst hätte tun sollen.«
    » Ich kann es nicht fassen, dass Sie das sagen«, meinte Mattim. » Ausgerechnet Sie haben die Hoffnung aufgegeben?«
    » Er hat meine Mutter«, flüsterte Bartók.
    » Nein«, widersprach Mattim. » Ihre Mutter ist tot. Kunun manipuliert Sie nur, damit Sie weiter mitspielen.«
    Der ältere Mann starrte ihn an. » Wie bitte? Sie ist tot?«
    Es gab keine schonende Methode, ihm dies beizubringen. Wie er die Sätze auch formulierte, sie würden treffen wie brennende Pfeile. » Sie ist im Feuer umgekommen. Es tut mir leid.«
    » Was? Das… das kann nicht sein! Das glaube ich nicht!«
    Sollte er ihm verraten, dass Adrienn zum Schatten geworden war? Es spielte sowieso keine Rolle mehr, damit musste er ihn nicht auch noch belasten. Sollte Bartók ruhig glauben, dass die alte Dame bis zuletzt aufrecht und geradlinig geblieben war.
    » Sie hat dafür gekämpft, dass Hanna und ich entkommen konnten«, sagte er. » Sie hat sich ihnen entgegengeworfen, und sie hat das Feuer gelegt.«
    Der Kommissar war aufgesprungen, er packte Mattim am Kragen. » Du lügst! Meine Mutter ist nicht tot, er hat sie nur mitgenommen. Sie hat nicht… sie würde nicht… Nein! Das sagst du nur, damit ich dich freilasse!«
    » Ich lüge nicht«, sagte Mattim. » Ich dachte, Sie wüssten es bereits und wollten nicht darüber reden.«
    » Nein.« Bartók schüttelte ihn, als könnte die Wahrheit wie ein reifer Apfel vom Baum gerüttelt werden. » Sag, dass das nicht stimmt!«
    Er holte aus, die Faust geballt, als sich kühle Finger um seine Hand legten, und eine sanfte Stimme sagte: » Schlagen Sie ihn nicht, Bartók. Er hat recht.«
    Vor ihnen stand Atschorek.
    » Wie sind Sie hier reingekommen?«, brüllte Bartók, wild wie ein verwundeter Stier.
    » Also wirklich, müssen Sie so etwas noch fragen?« Atschorek war wie immer unerträglich schön– oder sie wäre es gewesen, ohne die Narbe, die alle Blicke auf sich zog. Ihr rotes Haar wirkte in dem trüben Kellerlicht nahezu schwarz, wie geronnenes Blut, und roch leicht verbrannt. » Ich bin gekommen, um meinen Bruder abzuholen, auf den Sie dankenswerterweise vergangene Nacht aufgepasst haben. Es stimmt, Ihre Mutter lebt nicht mehr.«
    Bartók starrte sie an. » Aber Kunun hat gesagt…«
    » Er hat Ihnen bloß gesagt, dass Sie die Wahrheit erfahren werden. Die Wahrheit ist: Adrienn ist tot. Mein kleiner Bruder lügt nicht. Er hält sich für den Guten, wissen Sie noch? Allerdings hat das zur Folge, dass er manche unschönen Dinge verschweigt.«
    » Was ist tatsächlich passiert?«
    Ein Blick auf Atschorek genügte Mattim, und er wusste, was sie darauf antworten würde.
    » Ganz einfach: Er hat sie getötet. Zusammen mit Hanna. Ihre Mutter hatte nur den Auftrag, ihn nach Magyria zu bringen, mehr nicht. Dazu musste sie natürlich ein Schatten sein. In Anbetracht der Umstände war das … gnädig, finden Sie nicht? Kunun hat Adrienn für die Tatsache, dass sie seine Feinde beherbergt hat, nicht bestraft, vielmehr hat er ihr die Chance gegeben, ihren guten Willen zu beweisen. Er wollte es ihr ermöglichen, ewig zu leben, Sie hätten sich nie von ihr trennen müssen! Ihr winkte eine Zukunft ohne Schmerzen, ohne weiter zu altern, ohne Gebrechen, ohne Krebs oder Blindheit. Nur einen Gefallen, einen kleinen Gefallen! Hätte Mattim nicht diesen einen Schritt durch die Pforte gehen können, ihr zuliebe? Für alles, was sie für ihn getan und geopfert und riskiert hat? Hätte er das nicht tun können?«
    Bartók lauschte ihren Worten, ohne sie zu unterbrechen. Er wirkte wie eingefroren, zur Salzsäule erstarrt, während Atschorek ihm ihr Gift nach und nach einflößte.
    » Natürlich

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